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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Millionenwette auf die Zukunft
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Millionenwette auf die Zukunft
Mit Millionenbeträgen fördert Deutschland den Ausbau der öffentlichen Wasserstofftankstelleninfrastruktur. Aber braucht die überhaupt jemand? 
 
„Fortschritt tanken“ steht auf dem Schild, das Vertreter des Wasserstofftankstellenbetreibers H2 Mobility, des Chemiekonzerns BASF und der Lokalpolitik Anfang Mai lächelnd in die Kamera halten. Der Anlass: Am BASF-Standort im rheinland-pfälzischen Frankenthal entsteht eine Tankstelle für Brennstoffzellenfahrzeuge. Geplant ist eine Tageskapazität von bis zu 800 Kilogramm Wasserstoff, dem Anbieter zufolge genug, um damit mehr als 30 Lkw oder Busse zu betanken.

Bis 2027 will H2 Mobility die Kapazität dann sogar verdoppeln. Denn, so Martin Jüngel, Geschäftsführer und CFO von H2 Mobility Deutschland: „Die Nachfrage im Schwerlastverkehr wird auch in dieser Region deutlich zunehmen. Deshalb bauen wir neue Standorte wie in Frankenthal um ein Vielfaches größer als noch vor ein paar Jahren. Hier können zukünftig bis zu drei Fahrzeuge gleichzeitig tanken, darunter Busse und Lkw mit 350 bar sowie leichte Nutzfahrzeuge und Pkw mit 700 bar.“

Es klingt nach Aufbruchstimmung. Allerdings: Nur etwa 130 Kilometer südöstlich ist das Fortschrittstanken heute bereits Geschichte. Im Oktober 2017 ging hier in Koblenz eine der ersten Wasserstofftankstellen der Republik in Betrieb, begleitet von ähnlich euphorischen Worten wie heuer in Frankenthal. Von einem „wichtigen Signal für eine schadstofffreie Mobilität der Zukunft“ war die Rede und davon, dass mit dem Ausbau des Netzes von Wasserstofftankstellen auch die Attraktivität von Brennstoffzellenfahrzeugen für den Verbraucher steigen werde.

Bis 2023, so im Jahr 2013 die Idee der H2-Mobility-Initiative von Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total, aus der 2015 die H2 Mobility Deutschland GmbH hervorging (an der heute Clean H2 Infra Fund, Shell, Air Liquide, Total Energies, Linde, Daimler Truck, EG Group und Hyundai Anteile halten), sollten bundesweit 400 Wasserstofftankstellen entstehen. Und das nicht nur in Ballungsräumen und mindestens alle 90 Kilometer an Autobahnen, sondern auch im ländlichen Raum.

Veraltet und nicht wirtschaftlich

Tatsächlich sind es im April 2024 54 Standorte, an denen H2 Mobility Wasserstofftankstellen für Pkw betreibt. Hinzu kommen 26 Standorte mit kombinierten Anlagen, an denen sowohl Pkw als auch Lkw tanken können. In Rheinland-Pfalz blieb die Koblenzer Wasserstofftankstelle fünfeinhalb Jahre lang die einzige öffentliche Tankmöglichkeit für Brennstoffzellenfahrzeuge. Zum 1. April 2024 wurde sie geschlossen. Nutzungszahlen zuletzt: Zehn regelmäßig tankende Pkw. Auch in Wuppertal schloss zum ersten April die dortige Wasserstofftankstelle. Den Standort in Derching, unweit von Augsburg, nahm H2 Mobility zum 31. Mai vom Netz. Weitere Standorte stehen auf dem Prüfstand – insbesondere jene, die sich nicht zur Nutzung auch für Lkw umrüsten lassen.

Die Schließungen sind dem Betreiber zufolge zum einen der bereits alternden Technik geschuldet, zum anderen der mangelnden Wirtschaftlichkeit. Von „enorm hohen betriebswirtschaftlichen Verlusten von mehreren Hunderttausend Euro“, die in keinem Verhältnis zu den Erträgen an der Tankstelle selbst stehen, schreibt H2 Mobility auf Anfrage.

Denn: Die erwartete Steigerung der Attraktivität von Brennstoffzellenfahrzeugen ist bislang ausgeblieben. Von rund 61 Millionen Fahrzeugen, die zum 1. Januar 2024 in Deutschland zugelassen waren, fuhren gerade einmal 2.410 mit Brennstoffzellenantrieb. Eine Zahl, die auch der mangelnden Verfügbarkeit von Fahrzeugen geschuldet ist: Im Pkw-Segment befindet sich beispielsweise Hersteller BMW bei der Entwicklung des iX5 Hydrogen noch in der Pilotierungsphase.

„Abhängig von Marktanforderungen und Rahmenbedingungen beabsichtigen wir, unseren Kunden potenziell in der zweiten Hälfte dieser Dekade ein Serienfahrzeug anzubieten“, heißt es auf Anfrage aus München. Der Audi h-tron quattro existiert seit acht Jahren nur als Konzeptstudie. VW hat dem Brennstoffzellenantrieb im Pkw-Segment bereits mehrfach keine Zukunft prophezeit und Mercedes hat seinen GLC F-Cell schon 2020 vom Markt genommen. Momentan am deutschen Markt erhältlich sind lediglich zwei Modelle: Hyundai Nexo und Toyota Mirai.

Fokus auf Nutzfahrzeuge

Der Wasserstofftankstellenbetreiber H2 Mobility zieht die Konsequenzen und fokussiert sich jetzt auf die Infrastruktur für Nutzfahrzeuge. Erst im April ging in Heidelberg eine große Kombianlage ans Netz. Neben der Tankstelle in Frankenthal sind außerdem zwei weitere große Kombianlagen in Düsseldorf und Mannheim geplant, die noch in diesem Jahr in Betrieb gehen sollen. Projekte, die mit enormen Investitionen einhergehen: Die Anlage in Frankenthal wird durch das Bundesverkehrsministerium mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert, die Tankstelle in Düsseldorf mit 3,1 Millionen Euro.

Ähnlich wie im Pkw-Segment ist allerdings auch der Ausbau der Infrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge eine Wette auf die Zukunft. Mit ungewissem Ausgang: Galt es lange als gesetzt, dass sich batterieelektrische Antriebe im Schwerlastverkehr nicht durchsetzen können − zu schwer die Batterien, zu gering die Reichweite, zu lang die Ladezeiten −, übertrumpfen sich die Anbieter jüngst mit immer neuen Innovationen.

Daimler Truck beispielsweise vermeldete im April, mit dem eActros 600 erstmals die Ladeleistung von 1 MW überschritten zu haben: Die Batterie des Sattelschleppers kann so in etwa 30 Minuten − und damit innerhalb der regulären gesetzlichen Ruhepausen der Fahrer − von 20 auf 80 Prozent aufgeladen werden. Und Chinas Batteriehersteller CATL präsentierte unlängst einen angeblich bereits massenproduktionsreifen Akku, der innerhalb von nur 15 Minuten von null auf 100 Prozent geladen werden kann und dann eine Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern erreichen soll.

Und so gilt auch hier: Zwar gibt es bereits einzelne Brennstoffzellen-Lkw auf dem deutschen Markt, beispielsweise den Hyundai Xcient Fuel Cell mit einer Reichweite von rund 400 Kilometern und mit sieben Wasserstofftanks, die sich innerhalb von acht bis 20 Minuten volltanken lassen. Andere Hersteller, beispielsweise Mercedes-Benz mit seinem GenH2 Truck, planen den Serienstart für die zweite Hälfte des Jahrzehnts. Doch schon jetzt fahren in Deutschland von 3,7 Millionen zugelassenen Lastkraftwagen rund 79.000 mit rein elektrischem Antrieb. Mit Wasserstoff fahren gerade einmal 171.

Möglich, dass sich dieses Verhältnis ändert, sobald mehr Modelle zur Verfügung stehen und das Wasserstofftankstellennetz optimiert ist. Fragt man allerdings bei jenen nach, die die Güter über Deutschlands Straßen transportieren, kommen Zweifel. So sind im Auftrag des Logistikunternehmens Dachser jeden Tag in Europa 11.000 Fahrzeuge unterwegs, davon etwa ein Drittel im Fernverkehr mit schweren Lkw.

Teil dieser Flotte sind aktuell rund 60 batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge (BEV), davon 15, die sich der schweren Klasse zuordnen lassen. Fünf weitere sollen noch 2024 planmäßig folgen. Bis Mitte 2025 sollen dann etwa 40 BEV allein an den Standorten Hamburg, Freiburg und Malsch bei Karlsruhe genutzt werden, darunter 25 schwere Fernverkehr-BEV. Demgegenüber steht ein erster Lkw mit Wasserstoffbrennzelle, der seit Sommer 2023 im Testbetrieb für Dachser fährt.

Gleichzeitig mehren sich − auch angesichts der sehr begrenzten Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff − die Stimmen, die den kostspieligen Ausbau der öffentlichen Wasserstofftankstelleninfrastruktur infrage stellen. So sprach sich der Rat der Wirtschaftsweisen Mitte Mai in seinem Frühjahrsgutachten dafür aus, die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs voranzutreiben und die Ladeinfrastruktur deutlich auszubauen. Einzig Wirtschaftsweise Veronika Grimm − die auch im Aufsichtsrat von Elektrolyseur-Hersteller Siemens Energy sitzt und dem bayerischen Wasserstoffzentrum H2.B vorsteht – plädierte in einem Minderheitenvotum für eine Umstellung des Straßengüterverkehrs auf Wasserstoff.

Aus dem zuständigen Verkehrsministerium (BMDV) − noch immer gebeutelt von den im Februar bekannt gewordenen möglichen Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Fördermitteln für Wasserstoffprojekte − kommen zwischenzeitlich schwer zu deutende Signale. Auf Anfrage verweist das Ministerium auf den „Masterplan Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie im Verkehr“, mit dessen Fertigstellung voraussichtlich ab 2025 zu rechnen sei. Darin solle dann die „Zielvorstellung, wie die Wasserstoffbetankungsinfrastruktur der Zukunft aussehen soll“, dargestellt werden.

Ziel sei ein Grundnetz an Wasserstofftankstellen mit Fokus auf schwere Nutzfahrzeuge, das einen bundesweiten und grenzüberschreitend vernetzten Einsatz für schwere und leichte Nutzfahrzeuge, aber auch Pkw vorsehe. Bis zum Vorliegen dieses Masterplans allerdings heißt es wohl abwarten: Zwar seien für den bundesweiten Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur im Bundeshaushalt 2024 insgesamt 1,8 Milliarden Euro vorgesehen. Mittel für einen neuen Förderaufruf für Wasserstofftankstellen aber „stehen zeitnah nicht zur Verfügung“, teilt das BMDV mit.
 

Katia Meyer-Tien
Redakteurin
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