
Der Direktor der Stiftung Klimaneutralität, Rainer Baake, kritisierte: „Ziele sind wichtig, aber sie ändern nichts, das machen nur konkrete Maßnahmen.“ 50 solcher Maßnahmen haben daher seine Organisation und die Denkfabriken Agora Energiewende und Agora Verkehrswende am 17. Juni in Berlin vorgestellt.
Die Politikempfehlungen an die nächste Bundesregierung seien ein Instrumentenmix, da nur so die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erreichen sei. Sie umfassten aufeinander abgestimmte Veränderungen im Ordnungsrecht, in der Besteuerung, eine CO2-Bepreisung sowie Förderungen und den Abbau klimaschädlicher Subventionen. Damit solle der Weg zur Klimaneutralität ohne weitere teure Fehlinvestitionen und sozial gerecht möglich werden. Es sei auch gut für die Wirtschaft, wenn klare Regeln gesetzt werden für Investitionen und Planungen über eine Legislaturperiode hinaus.
Klimafreundlichkeit muss sich rechnen
„Das Ziel für die Bürger ist eine grüne und günstige Zukunft“, warb Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende. Klare
Rahmen müssten energetische Sanierung fördern und fossiles Heizen teurer machen als den Strom für Wärmepumpen. Auch in der
Mobilität würde sich elektrisches Fahren am besten über den Preis durchsetzen lassen, sagte er. Auf ein Instrument wie den
CO2-Preis im Emissionshandel allein zu setzen, funktioniere nicht. „Wir brauchen zum Beispiel neue Flächen und schnelle Genehmigungen
für Wind- und Solaranlagen in ganz Deutschland – das regelt kein Preis“, sagte Graichen.
Der Direktor der Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld, ergänzte, dass eine „Fair-kehrswende“ auch die soziale Schieflage
ausgleichen müsse, die heute Gutverdiener und Autos bevorteile. Hochfeld forderte: „Politik muss endlich die Mobilitätswende
gestalten und nicht mehr nur verwalten.“ Bis 2030 sollten 14 Mio. Pkw elektrisch fahren und jede vierte Tonne im Güterverkehr
per Bahn transportiert werden. „Wir brauchen eine neue Architektur der Politik im Verkehrssektor für die Klimaneutralität“,
appellierte Hochfeld. Dafür solle die Bundesregierung auch EU-weit einen Paradigmenwechsel durchsetzen und keine Abschwächung
forcieren.
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Bild: ZDF
Einzelne Maßnahmen
Die drei Thinktanks fordern eine grundlegende klimaschutzorientierte Reform des bisherigen Systems von Steuern, Abgaben, Umlagen und CO2-Bepreisung. Diese sollte marktwirtschaftliche Anreize zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien bieten. Um die Stromkosten zu senken,
soll die EEG-Umlage spätestens zum 1. Januar 2025 abgeschafft werden. Zur Gegenfinanzierung sollen die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel und
aus der höheren CO2-Bepreisung dienen.
Um Fehlinvestitionen und Entschädigungsansprüche von Privaten wie beim Kohleausstieg zu vermeiden, soll die Verwendung von
fossilen Energieträgern in allen Bereichen der Volkswirtschaft auf den 1. Januar 2045 gesetzlich befristet werden. Werde 2022 ein entsprechendes
Gesetz verabschiedet, bleibe allen Beteiligten 22 Jahre Zeit für Abschreibungen und Anpassungen. Ein schnellerer Ausbau der
erneuerbaren Energien solle deren Anteil am Stromverbrauch bis 2030 auf mindestens 70 % steigern.
Für Neubauten soll ab 2024 der Einbau fossiler Heizungsanlagen nicht mehr zulässig sein. Den klimaneutralen Neubau und die klimaneutrale Gebäudesanierung wollen die Klimaexperten jährlich
mit 12 Mrd. Euro fördern. Die steigenden CO2-Kosten sollen ab 2023 nicht mehr auf Mieterinnen und Mieter umgelegt werden dürfen, um so Vermietern einen Anreiz zur energetischen Sanierung und Umstellung auf CO2-freie Heizsysteme
zu geben. Die Modernisierungsumlage bei energetischer Sanierung soll auf 1,5 % abgesenkt werden.
Für den Industriebereich empfehlen sie, klimaneutrale Technologien in der Grundstoffindustrie zu fördern. Dazu sollen Klimaschutzverträge
in Form von Carbon Contracts for Difference (CCfD) gesetzlich eingeführt werden, mit denen die Differenzkosten zwischen der
klimaneutralen Technologie und den am Markt erzielbaren Erlösen finanziert werden.
Als weitere Instrumente für industriellen Klimaschutz werden Sonderabschreibungen, Investitionszuschüsse und eine Reform der
Netzentgelte genannt. Zur Kompensation nicht vermeidbarer Restemissionen in Produktionsprozessen sei die Entwicklung einer
Strategie für die Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) erforderlich.
Die Studie der Agora zur Klimaneutralität bis 2045 steht als PDF zum Download bereit.
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Donnerstag, 17.06.2021, 12:40 Uhr