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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Alle Energie in den Netzausbau
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Alle Energie in den Netzausbau
1924 begann der Bau der ersten deutschen Höchstspannungsleitung vom Rheinland in den Voralpenraum. Zu den Aufgaben von heute befragte E&M den Amprion-CTO Hendrik Neumann.
 
E&M: Herr Neumann, das Höchstspannungsnetz der vergangenen hundert Jahre muss für die Energiewende beschleunigt ausgebaut werden. Wie helfen Ihnen die Maßnahmen der Bundesregierung?

Neumann: Aktuell machen wir im Vergleich zur jüngsten Vergangenheit wirklich viele Beschleunigungsfortschritte. Wir konnten gemeinsam mit der Bundesnetzagentur und dem Wirtschaftsministerium sehr viel am Rechtsrahmen verbessern. In der Vergangenheit haben wir insbesondere in den Genehmigungsverfahren zu viel Zeit verloren. Um Beispiele zu geben: Beim Rhein-Main-Link, wo wir ja vier Zwei-Gigawatt-Systeme bündeln, sind wir insgesamt zwei Jahre schneller gegenüber der Vergangenheit. Das gelingt mit dem sogenannten Präferenzraumverfahren. Die Bundesnetzagentur legt einen Korridor fest, in dem dieses Infrastrukturprojekt verläuft, und wir steigen sofort in die Planfeststellung ein. Das entfaltet auch einen enormen volkswirtschaftlichen Nutzen, weil wir hohe Redispatch-Kosten vermeiden, wenn wir zwei Jahre eher in Betrieb gehen.

Ein weiteres Beispiel ist unser Projekt A-Nord. Da konnten wir vom vorzeitigen Baubeginn Gebrauch machen und mit reversiblen Arbeiten beginnen, bevor der Planfeststellungsbeschluss für den letzten Trassenabschnitt vorliegt. Im Projekt A-Nord bringt uns das ein Jahr an Zeitersparnis, das bedeutet ungefähr 700 bis 800 Millionen Euro Einsparung an Redispatch-Kosten pro Jahr.

Auch für die Bestandsprojekte geht es voran. Früher musste man selbst für eine Umbeseilung mit leistungsfähigeren Leiterseilen ein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Heute genügt dafür eine Anzeige bei der Bundesnetzagentur. Das spart vier Jahre Zeit beim Interkonnektor nach Frankreich, wo wir Hochtemperaturseile auflegen.

E&M: Ein Teil der Verzögerung kam auch durch den Wechsel von Freileitungen zu teureren Erdkabeln in der Bundesnetzplanung. Jetzt gibt es Initiativen im Bundesrat und von der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, doch wieder auf Freileitungen zu setzen. Sind Sie auch dafür?

Neumann: Das Wichtigste ist wirklich, dass wir für die Projekte, die sich jetzt in der Planung und Genehmigung befinden, keine Rolle rückwärts mehr machen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass nicht nur die Material- und Baukosten, sondern auch die Akzeptanz ein erheblicher Kostenfaktor sein kann. Schon wenige Jahre Verzögerung können Mehrkosten im Milliardenbereich für Redispatch verursachen. Gerade beim Thema Akzeptanz haben wir als Amprion viele Erfahrungen gesammelt. Wir sind, soweit ich weiß, der einzige Übertragungsnetzbetreiber in Europa, der beide Technologien projektiert hat.

 
Amprion-CTO Hendrik Neumann
Quelle: Amprion GmbH / Julia Sellmann

Mit Allegro haben wir eine Gleichstromverbindung als Erdkabel in Richtung Belgien realisiert und mit Ultranet realisieren wir gerade eine Freileitungsvariante. Wenn man die beiden Projekte miteinander vergleicht, ist es tatsächlich so: Allegro geht auch durch dicht besiedeltes Gebiet und da haben wir auf einem Abschnitt von rund 40 Kilometern 30 Einwände gehabt.

Bei Ultranet, was ja letztlich eine Bestandsleitung ist, die umbeseilt wird, haben wir über 1.000 Einwände gehabt und deswegen bin ich immer vorsichtig, das schwarz-weiß zu malen. Für künftige Projekte sollte man eine gemeinsame Diskussion führen, da sind wir technologieoffen. Aber die aktuellen müssen jetzt wie genehmigt umgesetzt werden. Es ist jedoch wichtig, neben den Kosten auch Fragen der Akzeptanz, Sicherheitsaspekte und extreme Wetterereignisse in den Blick zu nehmen.

E&M: Wie sicher ist die Stromversorgung der Zukunft?

Neumann: Die Bundesnetzagentur hat in ihrem Versorgungssicherheitsbericht ermittelt, dass wir bis zum Jahr 2030 einen Zubau an gesicherter Leistung von ungefähr 20.000 Megawatt brauchen. Auf der anderen Seite gibt es jetzt die Kraftwerksstrategie. Da kommen nicht 20.000, sondern erst mal 13.000 Megawatt bis 2030. Da ist noch eine Lücke. Die ist abhängig davon, wie sich die Elektrifizierung entwickelt, wie flexibel die Nachfrage ist und wie sich die Erzeugungsleistung im Ausland entwickelt. Es bleibt aber eine Lücke, die zu füllen ist. Für jedes Gaskraftwerk, das bis dahin nicht kommen wird, muss ein Kohlekraftwerk länger in Betrieb bleiben.

Ebenfalls herausfordernd ist das Thema Systemstabilität. Mit steigenden Transportleistungen und steigender Transportentfernung von Strom aus dem Norden in den Süden und Westen Deutschlands wird die Aufgabe größer, Systemstabilität zu gewährleisten. Bis 2030 kalkulieren wir mit einer Verdoppelung des Transportbedarfs von Nord- nach Süddeutschland und bis 2045 mit einer Verdreifachung. Das bedingt zusätzliche Maßnahmen, um im Falle einer Störung das System weiterhin stabil zu halten. Die Schere zwischen dem, was das System leisten muss, und dem Angebot der Maßnahmen, die es stabilisieren, geht allerdings eher auf. Die heutigen Großkraftwerke können durch ihre rotierenden Massen Energie sehr schnell und spontan in das Netz einspeisen. Davon werden wir in Zukunft definitiv weniger haben. Die größte Herausforderung für die Zukunft wird daher sein, diese Schere nicht noch weiter aufgehen zu lassen.

Dafür werden wir verschiedene Maßnahmen ergreifen müssen. Die neuen Gas- und Wasserstoffkraftwerke werden nur rund 10 Prozent des Bedarfs an Momentanreserve im Jahr 2030 abdecken. Für die fehlenden 90 Prozent sehen wir drei Säulen: Die erste sind technische Betriebsmittel der Übertragungsnetzbetreiber wie beispielsweise rotierende Phasenschieber. Das ist ein Gaskraftwerk ohne die Kraftwerksseite, also ein Generator. Als Zweites brauchen wir einen Markt, der Momentanreserve bereitstellt. Dafür brauchen wir Marktregeln, die die Bereitstellung anreizen. Und das Dritte sind Spielregeln, die zukünftig Verbraucher und Einspeiser zu einem Beitrag zum Energiesystem verpflichten. Es dauert ziemlich lange, bis man diese technischen Anschlussrichtlinien umgesetzt hat. Bestehende Anlagen erfüllen sie noch nicht.

E&M: Können Sie die technischen Betriebsmittel, die Sie für nötig und sinnvoll erachten, trotz Unbundling-Vorschriften errichten?

Neumann: Ja, denn in dem Fall sind wir keine Erzeuger, das ist regulatorisch mit der Bundesnetzagentur abgestimmt. Einige davon sind schon im Netzentwicklungsplan bestätigt. Wir werden mehr als zehn Konverter bis 2030 in Betrieb nehmen. Das sind Betriebsmittel, die am Anfang und am Ende einer Verbindung stehen, um Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt zu wandeln. Und diese Konverter sind auch in der Lage, stabilisierende Bestandteile zu liefern, wie beispielsweise Blindleistung. Diese wird auch von unseren Kompensationsanlagen bereitgestellt, von denen wir bereits 27 in Betrieb haben. Neun weitere werden derzeit errichtet und rund ein halbes Dutzend sind darüber hinaus in Planung. Einige davon wie beispielsweise die rotierenden Phasenschieber sind zudem in der Lage, Momentanreserve zu liefern.

E&M: Wie viel Potenzial sehen Sie im europäischen Binnenmarkt?

Neumann: Ich glaube, das ist das Rückgrat des Energiesystems, für diesen europäischen Verbund haben wir auch schon viel getan. Letztlich bestimmen die Handelsaktivitäten den Leistungsfluss und da gibt es physikalische Engpässe, die in gewisser Weise Restriktionen darstellen. Wir tun alles, um eine gute Marktentwicklung zu gewährleisten und dazu auch das Netz auszubauen. Das kann der deutschen Versorgung helfen und auch den Nachbarn, wie 2023, als Frankreich Engpässe im Kernkraftwerkspark hatte.

E&M: Sie sind dabei, das klimaschädliche Schwefelhexafluorid (SF6) abzulösen. Welche Pilotprojekte haben Sie da gerade gestartet?

Neumann: Wir haben ja heute Betriebsmittel bei uns im Netz, die eben aufgrund der günstigen elektrischen Eigenschaften mit SF6 gefüllt sind. Wegen unserer hohen Anforderungen an die Robustheit, die Qualität und Zuverlässigkeit der Anlagen müssen wir Alternativen erst erproben. Das machen wir mit Siemens Energy und setzen ab 2026 einen ersten SF6-freien Leistungsschalter für die Höchstspannung, also die 380-Kilovolt-Ebene, als Pilotanwendung bei uns im Netz ein. Aufgrund dieser sehr guten technologischen Partnerschaft hoffen wir, mittelfristig komplett das Portfolio umzustellen. Dieser Leistungsschalter ist ein extrem wichtiges Betriebsmittel für uns. Hinzu kommen aber auch Wandler, die wir bereits sukzessive durch SF6-freie ersetzen. Stattdessen wird zur Isolation technische Luft eingesetzt, die genau wie die Umgebungsluft aus Stickstoff und Sauerstoff besteht.

E&M: Wie sichern Sie die rechtzeitige Lieferung der Betriebsmittel für Ihren Netzausbau ab?

Neumann: Die hohe Nachfrage aller Netzbetreiber trifft aktuell auf ein sehr begrenztes Angebot. Wir haben Anfang letzten Jahres begonnen, eine Kapazitätssicherungsstrategie zu erarbeiten. Darin haben wir für alle unsere Projekte die technischen Bedarfe, das heißt Großkomponenten wie Konverter, Transformatoren, Kabel, aber auch Tiefbaukapazitäten, ermittelt. Daraus haben wir eine Strategie entwickelt, wie wir diese Bedarfe zeitgerecht bekommen und auch marktgerechte Konditionen dafür erzielen. Die Konzepte müssen sowohl für uns als Nachfrager, aber auch für die Auftragnehmer attraktiv sein.

Seit Anfang 2023 haben wir bis jetzt 30 Milliarden Euro an Investitionsaktivitäten auf diese Weise getätigt und uns damit die entsprechenden Leistungen gesichert. So können wir die Projekte bis 2030 und darüber hinaus mit allen notwendigen Großkomponenten und Gewerken absichern. Wir haben es beim Tiefbau mit einem völlig neuen Vertragsmodell geschafft, frühzeitig die Firmen in eine Partnerschaft zu holen. Wir durchlaufen gemeinsam mit den Tiefbauern die Genehmigungsphase und erreichen so einen Mehrwert an Planungssicherheit für beide Seiten. Für dieses progressive Vertragskonzept haben wir in diesem Jahr auch einen internationalen Preis bekommen.

E&M: Wie sehen Sie die Überlegungen der Acer zur Aufteilung der deutschen Strompreiszone?

Neumann: Zuerst sollten wir jetzt alle Energie einsetzen, den Netzausbau zügig zu realisieren. Das ist aus meiner Sicht das effektivste Werkzeug, um die Engpässe zu beseitigen und Transformationskosten zu senken. Ich bin auch sehr skeptisch gegenüber der operativen Umsetzung einer Aufteilung. Wir haben heute vier Regelzonen in Deutschland und wir haben viele Hundert Bilanzkreise. Die Umsetzung dessen bis hin zu Regelenergie ist extrem komplex und führt zu Verwerfungen, die man bis ans Ende noch gar nicht durchdekliniert hat. Aber da sind wir ja auch mit Acer in einer intensiven Diskussion und sind ganz guter Dinge, dass wir die Anforderungen erfüllen ohne Preiszonensplit. 
 

Susanne Harmsen
Redakteurin
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Donnerstag, 10.10.2024, 08:59 Uhr

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