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Enerige & Management > E&M Vor 20 Jahren - Müller in seinem Revier
Glühender Koks. Quelle: RAG
E&M VOR 20 JAHREN:
Müller in seinem Revier
Die Versorgungslage mit Energieträgern und Rohstoffen war schon vor 20 Jahren ein Thema in Deutschland. Es wurde damals sogar über neue Zechen nachgedacht.
 
Im März 2005 fand der erste Rohstoff-Kongress des BDI statt. Es ging um Rohstoffe für die Metall- und Chemieindustrie, aber auch um eine langfristige Sicherung des Primärenergiebezugs über eine „Energiepartnerschaft“ mit Russland.

Die damalige E&M-Korrespondentin Cerstin Gammelin war in Berlin dabei.


RAG-Chef Werner Müller hat Industrie und Mittelstand geeint, um seinen Ruf nach politischer Unterstützung der Rohstoffversorgung Deutschlands zu verstärken. Diese bleibe „originäre Aufgabe der Wirtschaft“, widersprechen die Grünen und fordern die Diversifizierung der Beschaffungsstrategie.

Den „Nationalen Rohstoffkongress“ habe er zusammen mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen R. Thumann, ins Leben gerufen, ließ Müller am 8. März die in Berlin versammelte Presse wissen. „Wir müssen thematisieren, was in Deutschland passiert, wenn die Rohstoffe plötzlich fehlen“, erklärte der Ex-Wirtschaftsminister.

Wer kenne die Folgen für die Wirtschaft, wenn beispielsweise Palladium nicht mehr zur Verfügung stehe? Zur Beantwortung dieser rhetorischen Frage hatte sich Müller einen kompetenten Ansprechpartner einladen lassen: Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). „Die Preise für Katalysatoren würden explodieren, wenn die Branche Palladium mit anderen, teuren Werkstoffen ersetzen müsse“, antwortete Gottschalk. Jedes Auto könnte 200 bis 300 Euro teurer werden.

„Wir müssen uns alle um die Rohstoffbeschaffung kümmern, sie sichert den Standort Deutschland“, forderte Müller unter Bezug auf eine Anfang März veröffentlichte Studie des Instituts for Energy, Environment, Forecast and Analysis in Münster und Berlin. Danach führen eine Verdopplung der Rohstoffpreise und ein Anstieg der Rohmetallpreise um 50 Prozent zu einer Kostenbelastung der deutschen Wirtschaft von rund 35 Milliarden Euro pro Jahr und einem Verlust von 75.000 Arbeitsplätzen.

Auch die RAG wolle ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, sagte Müller. In Anbetracht der hohen Kokskohle- und Stahlpreise und der rund eine Milliarde Tonnen Kokskohle, die unter deutschem Boden lagern, sei es sinnvoll, über eine neue Zeche nachzudenken. „Rechentechnisch separiert von den bisherigen Kohlesubventionen“, könnte diese Zeche bei Hamm „auf der grünen Wiese“ gebaut werden, so Müller. Eine Entscheidung über den Zechenneubau müsse schnell gefällt werden, denn spätestens 2007/2008 müsse die Förderung beginnen.

Deutsche Außenpolitik soll Wirtschaftsbeziehungen stützen

Müller bestätigte, dass die RAG prüfe, zusammen mit Rogesa, Voest Alpin und Acelor eine neue Kokerei bei Hamm zu errichten. „Innerhalb der nächsten zwei Monate wollen wir die Verhandlungen abschließen“. Ab 2007 könnte die neue Kokerei zusätzliche 1,3 Millionen t/a drücken. Auch der Thyssen-Krupp-Konzern plant, eine Kokerei zur Deckung des Eigenbedarfs zu bauen. Damit gibt es im Ruhrgebiet möglicherweise bald drei neue Baustellen.

Außerdem will Müller seinen Konzern im Frühjahr 2006 an die Börse bringen. Für dieses Vorhaben will er das Energie-, Chemie- und Bergunternehmen von Steinkohlealtlasten, wie Kosten für Bergschäden, Zechenschließungen und Renten für mehr als 300.000 frühere Bergleute, befreien. Diese Lasten solle ein Fonds des Bundes übernehmen, der mit dem auf 5 bis 6 Milliarden Euro veranschlagten Erlös des Börsengangs gespeist werden würde.

Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte, dass die Bundesregierung „keine zusätzlichen Kohlehilfen“ bewilligen werde. Die Unternehmen müssten „wirtschaftsinterne Lösungen“ finden. Schröder kündigte aber an, sich an der Diskussion um den organisatorischen Rahmen zu beteiligen. „Wir brauchen eine enge Abstimmung zwischen Wirtschaft und Politik, um die Versorgung mit Rohstoffen zu sichern“, sagte der Kanzler. Die Bundesregierung werde sich deshalb außenpolitisch um „stabile Lieferländer in Afrika und im Nahen Osten“ bemühen.
Schröder betonte, dass die Energiepartnerschaft mit Russland den Primärenergiebezug der Bundesrepublik langfristig sichern helfe. Die Rohstoffversorgung, insbesondere der Erdgasbezug, müsse in den nächsten Jahren durch Kooperationen bei der Förderung sowie beim Transport und der Verteilung auf eine breitere Basis gestellt werden. Schröder begrüßte diesbezügliche Gespräche von RWE, Eon und Wingas mit dem russischen Gaskonzern Gazprom.

Studie: Diversifizierte Beschaffung sichert Versorgung

Auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen will die massive staatliche Förderung des RAG-Konzerns, aber auch die bisherige Unterstützung von Energie-Fusionen wie Eon und Ruhrgas beenden. Damit gehen die Grünen auf Konfrontation zum Koalitionspartner. Die von der SPD unterstützte Strategie, deutsche Energiekonzerne durch Zusammenschlüsse stark für den europaweiten Wettbewerb zu machen und damit Versorgungssicherheit zu stärken, sei kontraproduktiv, heißt es in der Studie „Sicherung der Rohstoffversorgung“, die die Grünen am Vortag des BDI-Rohstoffkongresses vorstellten.

„Für die zuverlässige Versorgung mit Erdgas brauchen wir Wettbewerb und mehr Lieferanten als nur Ruhrgas“, sagte Michaele Hustedt gegenüber dieser Redaktion. Durch die Übernahme der Ruhrgas durch Eon sei nicht die Versorgungssicherheit gestiegen, sondern die Abhängigkeit, bewertete sie den von der Bundesregierung 2002 per Ministererlaubnis durchgewinkten Zusammenschluss. Eon Ruhrgas kontrolliert etwa 60 Prozent der deutschen Erdgasimporte. Der Konzern verkaufte 2003 rund 639 Milliarden kWh Erdgas. Bundesweit wurden im gleichen Zeitraum insgesamt 960 Milliarden kWh Erdgas abgesetzt.

Nicht die Beschaffung von Rohstoffen, sondern deren volatile Preise könnten der Wirtschaft künftig Probleme bereiten, analysierten die Energiewissenschaftler Felix Christian Matthes vom Öko-Institut Berlin und Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Studie. Den Folgen künftiger Preisausschläge müsse neben dem effizienten Umgang mit Rohstoffen vor allem mit der Diversifizierung der Beschaffung begegnet werden. „Nicht unberechenbare russische Lieferanten oder ebensolche Ölscheichs machen die Versorgung unsicher, sondern die hohe Konzentration der Unternehmen, die Zugang zu den Rohstoffquellen und den Transportnetzen haben“, betonte Matthes.

Die Gewährleistung der sicheren Versorgung mit Rohstoffen bleibe eine „originäre Aufgabe der Wirtschaft“, heißt es in der Studie weiter. Ebenso müssten die Unternehmen selbst ausreichende Kapazitäten für die Rohstoffverarbeitung schaffen. „Kokereien, Raffinerien und Stahlhütten bedürfen keiner staatlichen Subvention“, kommentierte Matthes. Die Kostensteigerungen bei den Rohstoffen Steinkohle, Koks, und Kokskohle seien ein internationales Problem, das alle Stahlproduzenten und damit auch Stahlverarbeiter weltweit betreffe.
 

Cerstin Gammelin
© 2025 Energie & Management GmbH
Freitag, 28.02.2025, 16:22 Uhr

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