
Quelle: E&M
AUS DER ZEITUNG:
Marvella freut sich auf die Schattenseiten der PV
Das Allgäuer Nestle-Werk bezieht bald Strom von einer Agri-PV-Anlage. Die Weidefläche darunter gehört einem benachbarten Bauern. Seine Kühe werden dann im Schatten der Paneele grasen.
Kuh Marvella lässt sich von Ökobauer Gerd Metz am Zaumzeug zum Pressetermin auf die Weide führen und lässt die Fotos stoisch
über sich ergehen und sich sogar streicheln, hustet nur manchmal kurz mit viel Sabber. Es ist ein Apriltag, so sonnig-heiß
wie noch nie in diesem Jahr im Süden. Vor acht Wochen hat Marvella gekalbt, deswegen darf sie gerade noch auf die Weide, so
wie die Jungtiere. Für die normalen Milchkühe wäre von etwa Mai an hier Schluss, weil es für sie zu sonnig und zu heiß werden
würde. „Vor zehn, zwanzig Jahren war um diese Zeit Winter“, erinnert sich Gerd Metz und meint den Klimawandel.

Nächstes Jahr werden Marvella und alle übrigen 65 Kühe von Metz ausnahmslos hier weiden − aus dem einzigen Grund, weil ihnen dann eine Agri-Photovoltaikanlage Schatten und damit Kühlung spendet. „Die Kühe gehen gern auf die Weide“, weiß Metz. Und mit der Anlage zusammen werde es nicht erst im Mai so weit sein, sondern vielleicht schon Februar/März.
Mehr noch: „Agri-PV sorgt für ein anderes Mikroklima und damit sogar für bessere Futterqualität, die Halme wachsen ganz anders und laut Studien ist das Gras für die Tiere verträglicher“, sagt Jörg Schmitt, Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanager für deutsche Werke des weltgrößten Lebensmittelkonzerns Nestle. Das Nestle-Werk im 4.000-Seelen-Ort Biessenhofen ist Gerd Metz’ direkter Nachbar, ganz früher hat sein Familienbetrieb sogar noch Milch für „Bärenmarke“ geliefert, die Nestle und der Vorgänger Berner Alpenmilchgesellschaft damals dort herstellte.

Subventionsfreie Agri-PV
Die Agri-PV-Anlage, deren Aufständerung schon steht, gehört dem Großkonzern, er hat darin 3 Millionen Euro investiert − und sich gar nicht erst um eine EEG-Subvention bemüht, da es sich für ihn auch so rentiert und diese ohnehin nur bei eingespeistem Ökostrom fällig wird. Der Solarstrom geht aber über eine Direktleitung ins Werk und soll „in der Regel“ zu 100 Prozent dort verbraucht werden. „In der Regel“ heißt „immer, außer bei einem Werksstillstand“.
Für einen Stillstand haben die 720 Beschäftigten keine Zeit: Das Werk brummt, fährt in Teilen der Produktion sieben Tage die Woche drei Schichten, in 80 Länder wird verschifft, 30 Prozent der Produkte gehen nach China. Die Babynahrung „Beba“ wird hier ebenso hergestellt wie klinische Nahrungsmittel als Pulver oder in flüssiger Form, die Sauce Hollandaise Marke Thomy.
Dass Nestle umstritten ist, wissen sie hier alle. Vielleicht auch deswegen will die deutsche Landesgesellschaft ihre Produktion und Lieferkette dekarbonisieren und die Agri-PV-Anlage ist ein „Leuchtturmprojekt“ innerhalb dieser Strategie, sagt Umweltmanager Schmitt: „Wir wollen, dass sie ein Ansporn für weitere Landwirte ist.“ 7.800 PV-Module, die zusammen bis zu 4,5 MW leisten, sollen jährlich 6 Millionen kWh Solarstrom liefern. Das ist eher wenig im Vergleich zu konventionellen Freiflächenanlagen, entspricht aber einem Viertel des Strombedarfs im Werk.
Sektorkopplung total
Indirekt trägt die PV-Anlage auch zur Sektorkopplung bei: Insgesamt braucht das Werk pro Jahr etwa 100 Millionen kWh Energie. Drei Viertel davon sind Wärme und Dampf, die bis 2024 ausschließlich mit Erdgas erzeugt wurden. Vergangenen Herbst ging dann die erste Wärmepumpe in Betrieb, hergestellt von Johnson Controls. Dafür wurden auch industrielle Prozesse umgestellt: Weniger Dampf durch ein Warmwassernetz, heißt die Devise.
Die Wärmepumpe nutzt überschüssige Abwärme aus einer Kälteanlage, die diese zur hygienischen Belüftung der Produktion abkühlt, um sie zu trocknen und dann wieder zu erwärmen. Die Wärmepumpe ersetzt einen alten Heißwasser-Dampfwärmetauscher. Ende 2024 erreichte das Biessenhofener Werk mit einer Reduktion des Treibhausgasausstoßes von 20,4 Prozent vorzeitig ein Etappenziel, berichtet Umweltmanager Schmitt. Und sparte schon Geld für Energie ein.
2030 will Nestle Deutschland nur noch die Hälfte der 91 Millionen Tonnen CO2 von 2018 ausstoßen. 2050 soll die Landesgesellschaft die grüne Null erreichen. „Unsere Strategie ist die Elektrifizierung der Werke“, sagt Umweltingenieur Schmitt klipp und klar. Sektorkopplung total. „Die Transformation umzusetzen, das wird anstrengend“, räumt er ein.
Der Solarstrom nun soll diese und eine künftige weitere Wärmepumpe mitversorgen, dann kommen 300 und 400 kW zusammen. Nestle Deutschland versorgt sich zwar seit Anfang 2025 schon mit 100 Prozent Ökostrom, und zwar zu 71 Prozent über langfristige Direktlieferverträge (PPA), aber der Rest wird immer noch durch Herkunftsnachweise bestritten, auch wenn es nach dem RE-100-Standard läuft. Der Ökostrom darf dann aus höchstens 15 Jahre alten Anlagen stammen. Nachhaltigkeitsmanager Schmitt verteidigt Nestle, man werde nicht viele Industriebetriebe mit mehr als 70 Prozent PPA-Anteil finden. „Noch besserer Strom ist allerdings der, der von der Photovoltaik kommt“, fügt er hinzu.
Die stählerne Aufständerung mit Höhen von 1,80 und 2 Metern, unter der die Kühe problemlos durchkommen, stammt von der Firma Zimmermann Stahlbau im württembergischen Eberhardzell, die früher nur Ställe gebaut hat. Im April sollten die ersten PV-Module montiert worden sein. Projektierer ist die Baywa Re.
Der Grund, der auch andere Investoren anzog
Dass Gerd Metz’ Weidefläche dereinst etwas mit PV zu tun bekommen würde, war vorgezeichnet. „Es gab viele Anfragen von Investoren“, erinnert er sich. Sie waren aus einem Grund ganz scharf auf die Fläche: Sie liegt in einem 200-Meter-Streifen entlang der hier zweigleisigen Bahnstrecke München/Augsburg − Kempten und damit ist sie bauprivilegiert: Es braucht nicht einmal einen Bauantrag, man kann nach dem Pachtvertrag einfach loslegen.
Doch die anderen hätten alle konventionelle PV-Anlagen errichten wollen. „Ich hätte eine Fläche verloren“, sagt Metz. Das wollte er nicht. Er will seine Milchwirtschaft weder rauf- noch runterfahren und hat auf 25 Jahre an Nestle verpachtet − mit Verlängerungsoption.
Nur 1 Prozent der Agrarflächen
„Die Zukunft der Agri-PV ist die Cow-PV“ − davon ist Stephan Schindele überzeugt. Er leitet das Agri-PV-Produktmanagement bei der Baywa Re. Die Baywa-Tochter hat zwar zwölf Jahre internationale Anwendererfahrung in Agri-PV-Projekten, darunter Beerenkulturen am Bodensee, Apfelplantagen in Frankreich, Gewächshäuser in Holland, die erste Schaf-PV im vorpommerschen Barth. Doch Biessenhofen ist für sie das erste Cow-PV-Projekt.
Schindele ist von dem Nischenprodukt überzeugt: „Agri-PV wird jetzt erst kommen. Die größten Hürden sind regulatorisch, nicht technisch oder kommerziell“, meint er − und bestätigt damit im Grunde, dass es übertrieben war, im hängen gebliebenen Solarpaket I der Agri-PV höhere Subventionen zuzuweisen. Schindele zitiert eine Projektion der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, wonach allein in der EU, der Schweiz und in England gut 1 Million MW Photovoltaikleistung zusammenkämen, wenn nur 1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche solar mitgenutzt wäre. Zum Vergleich: Das EU-PV-Ausbauziel für 2030 beläuft sich auf nur 600.000 MW.
Der Kuh Marvella wird es egal sein, was die anderen Bauern machen. Hauptsache, sie darf von nächstem Frühjahr an im Freien unter dem Schatten grasen, dösen und wiederkäuen.

Bald wird es der Kuh Marvella von Gerd Metz zu sonnig. Eigentlich ist sie gern auf der Weide. Die PV-Paneele müssen als Schattenspender
her
Quelle: E&M / Georg Eble
Quelle: E&M / Georg Eble
Nächstes Jahr werden Marvella und alle übrigen 65 Kühe von Metz ausnahmslos hier weiden − aus dem einzigen Grund, weil ihnen dann eine Agri-Photovoltaikanlage Schatten und damit Kühlung spendet. „Die Kühe gehen gern auf die Weide“, weiß Metz. Und mit der Anlage zusammen werde es nicht erst im Mai so weit sein, sondern vielleicht schon Februar/März.
Mehr noch: „Agri-PV sorgt für ein anderes Mikroklima und damit sogar für bessere Futterqualität, die Halme wachsen ganz anders und laut Studien ist das Gras für die Tiere verträglicher“, sagt Jörg Schmitt, Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanager für deutsche Werke des weltgrößten Lebensmittelkonzerns Nestle. Das Nestle-Werk im 4.000-Seelen-Ort Biessenhofen ist Gerd Metz’ direkter Nachbar, ganz früher hat sein Familienbetrieb sogar noch Milch für „Bärenmarke“ geliefert, die Nestle und der Vorgänger Berner Alpenmilchgesellschaft damals dort herstellte.

Im Vordergrund die Ständerung für die Agri-PV-Anlage, im Hintergrund das Nestle-Werk Biessenhofen
Quelle: Nestle
Quelle: Nestle
Subventionsfreie Agri-PV
Die Agri-PV-Anlage, deren Aufständerung schon steht, gehört dem Großkonzern, er hat darin 3 Millionen Euro investiert − und sich gar nicht erst um eine EEG-Subvention bemüht, da es sich für ihn auch so rentiert und diese ohnehin nur bei eingespeistem Ökostrom fällig wird. Der Solarstrom geht aber über eine Direktleitung ins Werk und soll „in der Regel“ zu 100 Prozent dort verbraucht werden. „In der Regel“ heißt „immer, außer bei einem Werksstillstand“.
Für einen Stillstand haben die 720 Beschäftigten keine Zeit: Das Werk brummt, fährt in Teilen der Produktion sieben Tage die Woche drei Schichten, in 80 Länder wird verschifft, 30 Prozent der Produkte gehen nach China. Die Babynahrung „Beba“ wird hier ebenso hergestellt wie klinische Nahrungsmittel als Pulver oder in flüssiger Form, die Sauce Hollandaise Marke Thomy.
Dass Nestle umstritten ist, wissen sie hier alle. Vielleicht auch deswegen will die deutsche Landesgesellschaft ihre Produktion und Lieferkette dekarbonisieren und die Agri-PV-Anlage ist ein „Leuchtturmprojekt“ innerhalb dieser Strategie, sagt Umweltmanager Schmitt: „Wir wollen, dass sie ein Ansporn für weitere Landwirte ist.“ 7.800 PV-Module, die zusammen bis zu 4,5 MW leisten, sollen jährlich 6 Millionen kWh Solarstrom liefern. Das ist eher wenig im Vergleich zu konventionellen Freiflächenanlagen, entspricht aber einem Viertel des Strombedarfs im Werk.
Sektorkopplung total
Indirekt trägt die PV-Anlage auch zur Sektorkopplung bei: Insgesamt braucht das Werk pro Jahr etwa 100 Millionen kWh Energie. Drei Viertel davon sind Wärme und Dampf, die bis 2024 ausschließlich mit Erdgas erzeugt wurden. Vergangenen Herbst ging dann die erste Wärmepumpe in Betrieb, hergestellt von Johnson Controls. Dafür wurden auch industrielle Prozesse umgestellt: Weniger Dampf durch ein Warmwassernetz, heißt die Devise.
Die Wärmepumpe nutzt überschüssige Abwärme aus einer Kälteanlage, die diese zur hygienischen Belüftung der Produktion abkühlt, um sie zu trocknen und dann wieder zu erwärmen. Die Wärmepumpe ersetzt einen alten Heißwasser-Dampfwärmetauscher. Ende 2024 erreichte das Biessenhofener Werk mit einer Reduktion des Treibhausgasausstoßes von 20,4 Prozent vorzeitig ein Etappenziel, berichtet Umweltmanager Schmitt. Und sparte schon Geld für Energie ein.
2030 will Nestle Deutschland nur noch die Hälfte der 91 Millionen Tonnen CO2 von 2018 ausstoßen. 2050 soll die Landesgesellschaft die grüne Null erreichen. „Unsere Strategie ist die Elektrifizierung der Werke“, sagt Umweltingenieur Schmitt klipp und klar. Sektorkopplung total. „Die Transformation umzusetzen, das wird anstrengend“, räumt er ein.
Der Solarstrom nun soll diese und eine künftige weitere Wärmepumpe mitversorgen, dann kommen 300 und 400 kW zusammen. Nestle Deutschland versorgt sich zwar seit Anfang 2025 schon mit 100 Prozent Ökostrom, und zwar zu 71 Prozent über langfristige Direktlieferverträge (PPA), aber der Rest wird immer noch durch Herkunftsnachweise bestritten, auch wenn es nach dem RE-100-Standard läuft. Der Ökostrom darf dann aus höchstens 15 Jahre alten Anlagen stammen. Nachhaltigkeitsmanager Schmitt verteidigt Nestle, man werde nicht viele Industriebetriebe mit mehr als 70 Prozent PPA-Anteil finden. „Noch besserer Strom ist allerdings der, der von der Photovoltaik kommt“, fügt er hinzu.
Die stählerne Aufständerung mit Höhen von 1,80 und 2 Metern, unter der die Kühe problemlos durchkommen, stammt von der Firma Zimmermann Stahlbau im württembergischen Eberhardzell, die früher nur Ställe gebaut hat. Im April sollten die ersten PV-Module montiert worden sein. Projektierer ist die Baywa Re.
Der Grund, der auch andere Investoren anzog
Dass Gerd Metz’ Weidefläche dereinst etwas mit PV zu tun bekommen würde, war vorgezeichnet. „Es gab viele Anfragen von Investoren“, erinnert er sich. Sie waren aus einem Grund ganz scharf auf die Fläche: Sie liegt in einem 200-Meter-Streifen entlang der hier zweigleisigen Bahnstrecke München/Augsburg − Kempten und damit ist sie bauprivilegiert: Es braucht nicht einmal einen Bauantrag, man kann nach dem Pachtvertrag einfach loslegen.
Doch die anderen hätten alle konventionelle PV-Anlagen errichten wollen. „Ich hätte eine Fläche verloren“, sagt Metz. Das wollte er nicht. Er will seine Milchwirtschaft weder rauf- noch runterfahren und hat auf 25 Jahre an Nestle verpachtet − mit Verlängerungsoption.
Nur 1 Prozent der Agrarflächen
„Die Zukunft der Agri-PV ist die Cow-PV“ − davon ist Stephan Schindele überzeugt. Er leitet das Agri-PV-Produktmanagement bei der Baywa Re. Die Baywa-Tochter hat zwar zwölf Jahre internationale Anwendererfahrung in Agri-PV-Projekten, darunter Beerenkulturen am Bodensee, Apfelplantagen in Frankreich, Gewächshäuser in Holland, die erste Schaf-PV im vorpommerschen Barth. Doch Biessenhofen ist für sie das erste Cow-PV-Projekt.
Schindele ist von dem Nischenprodukt überzeugt: „Agri-PV wird jetzt erst kommen. Die größten Hürden sind regulatorisch, nicht technisch oder kommerziell“, meint er − und bestätigt damit im Grunde, dass es übertrieben war, im hängen gebliebenen Solarpaket I der Agri-PV höhere Subventionen zuzuweisen. Schindele zitiert eine Projektion der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, wonach allein in der EU, der Schweiz und in England gut 1 Million MW Photovoltaikleistung zusammenkämen, wenn nur 1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche solar mitgenutzt wäre. Zum Vergleich: Das EU-PV-Ausbauziel für 2030 beläuft sich auf nur 600.000 MW.
Der Kuh Marvella wird es egal sein, was die anderen Bauern machen. Hauptsache, sie darf von nächstem Frühjahr an im Freien unter dem Schatten grasen, dösen und wiederkäuen.

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Donnerstag, 12.06.2025, 08:40 Uhr
Donnerstag, 12.06.2025, 08:40 Uhr
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