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Quelle: Shutterstock / rclassen
E&M VOR 20 JAHREN:
Kohle auf der Siegerstraße
Beim Steinkohletag 2004 warf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen schon ihre Schatten voraus. Und RAG-Chef Werner Müller wähnte den fossilen Energieträger als Zünglein an der Waage.
Im November 2004 war in den Tagesthemen der ARD von „rosigen Zeiten für die Steinkohle“ die Rede – für die deutsche Steinkohle.
Trotz drohenden Kürzungen der bisherigen Milliarden-Subventionen und Überlegungen zur Stilllegung von Zechen hierzulande,
blickten die Verantwortlichen der Kohlebranche optimistisch in die Zukunft. Denn Kokskohle war knapp und entsprechend teuer.
Der damalige E&M-Chefreporter Ralf Köpke verfolgte den Steinkohletag 2004 und behielt dabei besonders den RAG-Chef Werner Müller im Auge.
Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist im vollen Gange. „Wenn Mitarbeiter mich fragen, wen sie im kommenden Mai wählen sollen, frage ich zurück, ob das überhaupt noch eine Frage sei.“ Werner Müller schaut beim Steinkohlentag in Essen unschuldig in die Runde und legt eine rhetorische Kunstpause ein: Wie könne ein Kohlefreund nur auf die aberwitzige Idee kommen, für jemanden votieren zu wollen, der die Kohlesubventionen weitaus drastischer reduzieren will, als es die Bundesregierung, das Land NRW und die RAG ohnehin vereinbart hätten. Süffisant erzählt der RAG-Vorstandschef von Briefen, die er regelmäßig aus Düsseldorf erhält: „Da beschwert sich Herr Rüttgers, der Ministerpräsidenten-Kandidat der CDU, darüber, dass wir Wahlwerbung für die SPD betreiben würden.“ Davon könne keine Rede sein, belehrt ihn der RAG-Chef genauso regelmäßig: „Wir unterstützten nicht Peer Steinbrück, wir unterstützen die Politik der Landesregierung, weil das dem Unternehmen hilft.“ Müller sprüht nur so vor Sarkasmus und schiebt noch eine Spitze nach: „Ich bin mal gespannt, ob ich gleich morgen wieder den nächsten Brief erhalte.“
Der über diese ungewöhnlich offene Wahlwerbung schier erstaunte SPD-Regierungschef beeilt sich später, seine Hochachtung für die Anstrengungen der RAG zum vereinbarten Abbau der Fördermengen zu zollen und die Bedeutung der Steinkohle zu unterstreichen – durchaus mit Überzeugung. Keine Frage sei es auch, dass das Land den Prozess einer neuen Kokskohlen-Zeche im Raum Hamm moderieren wolle. Immerhin ist der Neubau im Osten des Ruhrgebiets möglicherweise mit 3 000 neuen Arbeitsplätzen verbunden. „Geld für den Aufschluss wird es aus der Landeskasse aber nicht geben“, betont Steinbrück.
Genauso entschieden versichert RAG-Stratege Müller, dass er keinen einzigen Cent aus Düsseldorf brauche. „Wir gehen davon aus, dass wir bei den anhaltend hohen Kokskohlenpreisen mit einer neuen Zeche in den Jahren 2015 bis 2045 die Kokskohle zu Kosten unter dem Weltmarktpreis liefern können“, betont der frühere Bundeswirtschaftsminister. Seine seherischen Fähigkeiten, solche Langfristprognosen treffen zu können, zweifelt niemand an – auch Peer Steinbrück nicht.
Warum auch. Müller hat es mit einer geschickten PR-Kampagne verstanden, die Steinkohle aus den Negativschlagzeilen zu holen. Was gestern noch als überholter, abzustoßender Subventionsempfänger galt, hat heute den Charme eines Hoffnungsträgers, der die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit vor allem der deutschen Stahlindustrie sicherstellen soll. Müller hat sein PR-Handwerk in den vier Jahren als Kabinettsmitglied gelernt: Wichtig ist es, Schlagzeilen zu besetzen, Inhalte sind eher nachrangig.
Hinkender Vergleich mit den Subventionen für die Erneuerbaren
Da er die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Kohle bei den steigenden Weltmarktpreisen sozusagen stündlich verbessert sieht, fühlt sich Müller in einer starken Position. Mit seiner – für einen Wirtschaftsführer ungewöhnlichen Offenheit – lässt Müller das so manchen Zeitgenossen spüren. Beispielsweise Ekkehard Schulz. Die Pläne der neuen Kokskohlenzeche nehme „niemand ernst“ hatte der Thyssen-Krupp-Chef in den Medien verlauten lassen. Das sage ein Mann, der die Tonne Koks zurzeit von der RAG für 70 US-Dollar pro Tonne erhalte, während ihn der gleiche Stoff 300 US-Dollar pro Tonne anderswo kosten würde. Schulz‘ Ankündigung, sich im kommenden Jahr von der 20-prozentigen RAG-Beteiligung trennen zu wollen, nimmt Müller gelassen: „Es laufen schon jetzt Gespräche, bei denen sich abzeichnet, dass der künftige Gesellschafter mindestens das gleiche Renommee wie Thyssen Krupp mitbringt.“
Ihr Fett ab bekam auch die saarländische Landesregierung, von der Werner Müller bis zum Jahr 2005 rund 95 Mio. Euro an Kohlebeihilfe fordert. Da CDU-Ministerpräsident Peter Müller „Nein“ sagt, droht der RAG-Chef nun unverhohlen: „Wir müssen diese 100 Millionen einsparen, werden das aber nicht in Nordrhein-Westfalen machen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir zu Kapazitätsanpassungen bei der Zeche Ensdorf greifen werden, auch wenn das unsere betriebswirtschaftlich billigste Zeche ist.“ Gegenüber dem online-Dienst Saar-Echo verwahrte sich der CDU-Abgeordnete Klaus Meiser, der auch den Wirtschaftsausschuss an der Saar leitet, gegen Werner Müllers Worte: „Die Fairness gebietet es, dass auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister anerkennt, dass das Saarland finanziell nicht in der Lage ist, neue Lasten zu übernehmen. Müllers Drohgebärden sind in der Sache wenig hilfreich.“
Stinkig über Müllers Äußerungen, wonach die Windenergie mittlerweile mehr an Subventionen erhalte als die Steinkohle, ist der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Kommentar von BEE-Geschäftsführer Milan Nitzschke: „Die Steinkohlesubventionen lassen sich nicht dadurch schönreden, dass man sie mit der Förderung erneuerbarer Energien vergleicht. Windkraft, Sonne und die anderen Bioenergieträger werden nicht subventioniert. Im Gegensatz zur Steinkohle bekommen sie keine Milliarden aus Steuermitteln sondern werden von den Stromkunden entsprechend ihrem Verbrauch bezahlt. Der Aufpreis, den der Aufbau einer umweltfreundlichen Stromversorgung die Verbraucher kostet, beträgt gerade einmal die Hälfte von dem, was die deutsche Steinkohle an Mehrkosten verursacht - ganz abgesehen von den Umweltschäden durch Tagebau und Emissionen.“
Nitschke wirft dem RAG-Chef vor, mit falschen Vergleichen bewusst Stimmung gegen die erneuerbaren Energien zu machen: „Die Behauptung von Müller, mit Subventionen in der gleichen Höhe wie der Förderung von erneuerbaren Energien könne er mit Steinkohle die sechsfache Menge Strom produzieren, ist einfach Unfug. Im Jahr 2005 betragen die Steinkohlesubventionen hierzulande 2,7 Milliarden Euro für 26 Millionen Tonnen Steinkohle. Wenn die gesamte Menge in die Stromproduktion ginge, könnten damit rund 78 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt werden. Das wäre dann 1,5-mal so viel wie Strom aus erneuerbaren Energien – und das bei Subventionen, die 1,5 mal so hoch lägen wie der Umlagebetrag des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wenn man wie Müller Subventionen mit der Mehrkostenumlage für Ökoenergien vergleicht, dann kommt man bei der resultierenden Stromproduktion auf den Faktor 1 und nicht auf den Faktor 6.“
Dass der BEE-Geschäftsführer Müllers Plan vom Neubau einer Kokszeche ablehnt, versteht sich von selbst. Nitzschke hat einen prominenten Mitstreiter: Norbert Walter. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank sagte auf einem Solarkongress einen Tag nach dem Steinkohlentag: „Sollte zur Vermeidung von Versorgungsengpässen im Energiebereich Kohle wieder verstärkt aktiviert werden, könne es immer nur um Importkohle gehen.“ Neuinvestitionen in die deutsche Kohle gibt Walter angesichts der Kosten, „die in Deutschland nun mal nicht vermeidbar sind“, kaum Chancen.
Werner Müller hat jedenfalls eines geschafft: Die Zukunft der deutschen Steinkohle gehört wieder zum gesellschaftlichen Diskurs. Und wenn daraus in Nordrhein-Westfalen ein Wahlkampfthema wird, hat SPD-Mann Peer Steinbrück nach eigenen Worten „nichts dagegen“. Warum auch, der SPD-Ministerpräsident kann dabei nach Lage der Dinge nur gewinnen.
Der damalige E&M-Chefreporter Ralf Köpke verfolgte den Steinkohletag 2004 und behielt dabei besonders den RAG-Chef Werner Müller im Auge.
Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist im vollen Gange. „Wenn Mitarbeiter mich fragen, wen sie im kommenden Mai wählen sollen, frage ich zurück, ob das überhaupt noch eine Frage sei.“ Werner Müller schaut beim Steinkohlentag in Essen unschuldig in die Runde und legt eine rhetorische Kunstpause ein: Wie könne ein Kohlefreund nur auf die aberwitzige Idee kommen, für jemanden votieren zu wollen, der die Kohlesubventionen weitaus drastischer reduzieren will, als es die Bundesregierung, das Land NRW und die RAG ohnehin vereinbart hätten. Süffisant erzählt der RAG-Vorstandschef von Briefen, die er regelmäßig aus Düsseldorf erhält: „Da beschwert sich Herr Rüttgers, der Ministerpräsidenten-Kandidat der CDU, darüber, dass wir Wahlwerbung für die SPD betreiben würden.“ Davon könne keine Rede sein, belehrt ihn der RAG-Chef genauso regelmäßig: „Wir unterstützten nicht Peer Steinbrück, wir unterstützen die Politik der Landesregierung, weil das dem Unternehmen hilft.“ Müller sprüht nur so vor Sarkasmus und schiebt noch eine Spitze nach: „Ich bin mal gespannt, ob ich gleich morgen wieder den nächsten Brief erhalte.“
Der über diese ungewöhnlich offene Wahlwerbung schier erstaunte SPD-Regierungschef beeilt sich später, seine Hochachtung für die Anstrengungen der RAG zum vereinbarten Abbau der Fördermengen zu zollen und die Bedeutung der Steinkohle zu unterstreichen – durchaus mit Überzeugung. Keine Frage sei es auch, dass das Land den Prozess einer neuen Kokskohlen-Zeche im Raum Hamm moderieren wolle. Immerhin ist der Neubau im Osten des Ruhrgebiets möglicherweise mit 3 000 neuen Arbeitsplätzen verbunden. „Geld für den Aufschluss wird es aus der Landeskasse aber nicht geben“, betont Steinbrück.
Genauso entschieden versichert RAG-Stratege Müller, dass er keinen einzigen Cent aus Düsseldorf brauche. „Wir gehen davon aus, dass wir bei den anhaltend hohen Kokskohlenpreisen mit einer neuen Zeche in den Jahren 2015 bis 2045 die Kokskohle zu Kosten unter dem Weltmarktpreis liefern können“, betont der frühere Bundeswirtschaftsminister. Seine seherischen Fähigkeiten, solche Langfristprognosen treffen zu können, zweifelt niemand an – auch Peer Steinbrück nicht.
Warum auch. Müller hat es mit einer geschickten PR-Kampagne verstanden, die Steinkohle aus den Negativschlagzeilen zu holen. Was gestern noch als überholter, abzustoßender Subventionsempfänger galt, hat heute den Charme eines Hoffnungsträgers, der die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit vor allem der deutschen Stahlindustrie sicherstellen soll. Müller hat sein PR-Handwerk in den vier Jahren als Kabinettsmitglied gelernt: Wichtig ist es, Schlagzeilen zu besetzen, Inhalte sind eher nachrangig.
Hinkender Vergleich mit den Subventionen für die Erneuerbaren
Da er die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Kohle bei den steigenden Weltmarktpreisen sozusagen stündlich verbessert sieht, fühlt sich Müller in einer starken Position. Mit seiner – für einen Wirtschaftsführer ungewöhnlichen Offenheit – lässt Müller das so manchen Zeitgenossen spüren. Beispielsweise Ekkehard Schulz. Die Pläne der neuen Kokskohlenzeche nehme „niemand ernst“ hatte der Thyssen-Krupp-Chef in den Medien verlauten lassen. Das sage ein Mann, der die Tonne Koks zurzeit von der RAG für 70 US-Dollar pro Tonne erhalte, während ihn der gleiche Stoff 300 US-Dollar pro Tonne anderswo kosten würde. Schulz‘ Ankündigung, sich im kommenden Jahr von der 20-prozentigen RAG-Beteiligung trennen zu wollen, nimmt Müller gelassen: „Es laufen schon jetzt Gespräche, bei denen sich abzeichnet, dass der künftige Gesellschafter mindestens das gleiche Renommee wie Thyssen Krupp mitbringt.“
Ihr Fett ab bekam auch die saarländische Landesregierung, von der Werner Müller bis zum Jahr 2005 rund 95 Mio. Euro an Kohlebeihilfe fordert. Da CDU-Ministerpräsident Peter Müller „Nein“ sagt, droht der RAG-Chef nun unverhohlen: „Wir müssen diese 100 Millionen einsparen, werden das aber nicht in Nordrhein-Westfalen machen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir zu Kapazitätsanpassungen bei der Zeche Ensdorf greifen werden, auch wenn das unsere betriebswirtschaftlich billigste Zeche ist.“ Gegenüber dem online-Dienst Saar-Echo verwahrte sich der CDU-Abgeordnete Klaus Meiser, der auch den Wirtschaftsausschuss an der Saar leitet, gegen Werner Müllers Worte: „Die Fairness gebietet es, dass auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister anerkennt, dass das Saarland finanziell nicht in der Lage ist, neue Lasten zu übernehmen. Müllers Drohgebärden sind in der Sache wenig hilfreich.“
Stinkig über Müllers Äußerungen, wonach die Windenergie mittlerweile mehr an Subventionen erhalte als die Steinkohle, ist der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Kommentar von BEE-Geschäftsführer Milan Nitzschke: „Die Steinkohlesubventionen lassen sich nicht dadurch schönreden, dass man sie mit der Förderung erneuerbarer Energien vergleicht. Windkraft, Sonne und die anderen Bioenergieträger werden nicht subventioniert. Im Gegensatz zur Steinkohle bekommen sie keine Milliarden aus Steuermitteln sondern werden von den Stromkunden entsprechend ihrem Verbrauch bezahlt. Der Aufpreis, den der Aufbau einer umweltfreundlichen Stromversorgung die Verbraucher kostet, beträgt gerade einmal die Hälfte von dem, was die deutsche Steinkohle an Mehrkosten verursacht - ganz abgesehen von den Umweltschäden durch Tagebau und Emissionen.“
Nitschke wirft dem RAG-Chef vor, mit falschen Vergleichen bewusst Stimmung gegen die erneuerbaren Energien zu machen: „Die Behauptung von Müller, mit Subventionen in der gleichen Höhe wie der Förderung von erneuerbaren Energien könne er mit Steinkohle die sechsfache Menge Strom produzieren, ist einfach Unfug. Im Jahr 2005 betragen die Steinkohlesubventionen hierzulande 2,7 Milliarden Euro für 26 Millionen Tonnen Steinkohle. Wenn die gesamte Menge in die Stromproduktion ginge, könnten damit rund 78 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt werden. Das wäre dann 1,5-mal so viel wie Strom aus erneuerbaren Energien – und das bei Subventionen, die 1,5 mal so hoch lägen wie der Umlagebetrag des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wenn man wie Müller Subventionen mit der Mehrkostenumlage für Ökoenergien vergleicht, dann kommt man bei der resultierenden Stromproduktion auf den Faktor 1 und nicht auf den Faktor 6.“
Dass der BEE-Geschäftsführer Müllers Plan vom Neubau einer Kokszeche ablehnt, versteht sich von selbst. Nitzschke hat einen prominenten Mitstreiter: Norbert Walter. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank sagte auf einem Solarkongress einen Tag nach dem Steinkohlentag: „Sollte zur Vermeidung von Versorgungsengpässen im Energiebereich Kohle wieder verstärkt aktiviert werden, könne es immer nur um Importkohle gehen.“ Neuinvestitionen in die deutsche Kohle gibt Walter angesichts der Kosten, „die in Deutschland nun mal nicht vermeidbar sind“, kaum Chancen.
Werner Müller hat jedenfalls eines geschafft: Die Zukunft der deutschen Steinkohle gehört wieder zum gesellschaftlichen Diskurs. Und wenn daraus in Nordrhein-Westfalen ein Wahlkampfthema wird, hat SPD-Mann Peer Steinbrück nach eigenen Worten „nichts dagegen“. Warum auch, der SPD-Ministerpräsident kann dabei nach Lage der Dinge nur gewinnen.
Ralf Köpke
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Sonntag, 01.12.2024, 11:10 Uhr
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