30 JAHRE E&M:
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!
Der frühere E&M-Chefreporter Ralf Köpke erinnert sich an eine nicht alltägliche Pressereise im Jahr 2004, als die Offshore-Windenergie noch in den Kinderschuhen steckte.
Spätestens nach dem Hamburger Elbtunnel ist an Bord das große Dösen angesagt. Der Reisebus schnurrt an diesem Februartag Kilometer
um Kilometer auf der Bundesautobahn A7 Richtung deutsch-dänischer Grenze. Die Westküste des kleinen Königsreichs ist das Ziel
der Reise. Genau genommen sind es 80 Windkraftwerke, die seit Herbst 2002 auf der Höhe des jütländischen Blavands Huk, dem
westlichsten Punkt Dänemarks, in der Nordsee rotieren.
Mit einer Leistung von insgesamt 160 MW ist „Horns Rev I“, so der offizielle Name, der in jenen Tagen mit Abstand leistungsstärkste Meereswindpark der Welt. Schon seit den frühen 1990er-Jahren hat Dänemark mit den beiden Ostseeprojekten Vindeby und Tuno Knob erste Erfahrungen mit der Meereswindanwendung gesammelt. Mit einer Leistung von jeweils 5 MW sind die beiden Pionierseewindparks, die in ziemlich flachen Gewässern errichtet worden sind, jedoch richtige Minis gegenüber Horns Rev.
Was aber zählt: Die Dänen, ohnehin die Väter und Mütter der modernen Windkrafttechnologie, reden nicht nur, sie packen auch an. Das Land ist bei der Windenergie Technologieführer, würde es heute heißen. Zur Erinnerung: Vor der deutschen Küste geht erst knapp zehn Jahre später das sogenannte Testfeld Alpha Ventus mit 60 MW Leistung in Betrieb.
Fahrt mit dem Mannschaftsbus von Hannover 96
Mit Horns Rev beginnt eine neue Ära für die Windenergie, sind sich viele Unternehmen in der Branche sicher. Wer will nicht zu den Technologieführern gehören? Um das die Welt wissen zu lassen, organisiert so manche an Horns Rev beteiligte Firma Pressereisen. Digitale Plattformen wie Instagram, LinkedIn oder Twitter sind kurz nach der Jahrtausendwende noch nicht erfunden.
Und so landet Anfang 2004 eine solche Einladung auch in der Herrschinger E&M-Zentrale. Stolz will die Deutschland-Dependance eines französischen Kabelherstellers präsentieren, dass Horns Rev ohne die eigenen Seekabel nicht funktionieren würde.
Für mich, bei E&M der Mann für die Windenergie, beginnt damit eine nicht alltägliche Dienstreise. Windenergieanlagen live draußen auf See zu besichtigen, ist journalistisches Neuland, ein nicht alltägliches Abenteuer, das sich niemand gerne entgehen lässt.
Pech für mich, dass der geplante Dänemark-Trip sich mit einem Familienurlaub auf der Nordseeinsel Langeoog überschneidet. Da in jenen Tagen woke Formulierungen wie „Work-Life-Balance“ noch nicht erfunden sind, ist für mich die Urlaubsunterbrechung keine Frage. Also runter von der Insel, mit der Fähre nach Bensersiel. Von dort mit dem im Hafenareal geparkten Auto zum nächstmöglichen Bahnhof nach Esens und weiter mit dem Zug nach Hannover.
Erste Überraschung nach einem nächtlichen Hotelzwischenstopp am nächsten Morgen in Niedersachsens Landeshauptstadt: Am vereinbarten Treffpunkt parkt der leibhaftige Mannschaftsbus von Hannover 96. Auf der roten-schwarzen Lackierung, der Farbe des Vereinstrikots, prangt an jeder Seite in Übergröße eine „96“. Dass das Logo in den Farben Schwarz-Weiß-Grün gehalten ist, versteht sich von selbst. Mitten in der Woche konnte das Reiseunternehmen, bei dem der Kabelhersteller einen Bus geordert hatte, sein auffälliges Flaggschiff so gut auf die Bahn bringen.
Zweite Überraschung: Für die Pressereise zu Horns Rev muss es beim Kabelhersteller reihenweise Absagen aus dem Journalistenkreis gegeben haben. Neben mir ist nur die Volontärin eines Fachverlags mit Sitz in Hannover mit an Bord − begleitet von einer kleinen Crew der Marketing- und Vertriebsabteilung des Kabelproduzenten. Auf fast allen Sitzen, wo ansonsten der damalige 96er-Trainer Ralf Rangnick, die Mannschaft, die Ersatzspieler, Betreuer und Vorstandsmitglieder Platz finden, herrscht gähnende Leere. Riesenaufwand für wenig journalistische Coverage.
Den Grenzübergang Ellund hat der Bus längst passiert. Und auch beim Autobahnkreuz Kolding hat der Fahrer die richtige Abfahrt Richtung Westküste, Richtung Esbjerg, genommen. Fischiger Gestank liegt bei Ankunft über dem Hafenareal. Ist doch Esbjerg der damals größte Fischereihafen an der dänischen Westküste. Zwar ist die Fangflotte in den zurückliegenden Jahren von 700 Trawlern und Kuttern auf nur noch 100 Fangschiffe geschrumpft, doch spielt die Fischerei nach wie vor eine wichtige wirtschaftliche Rolle für die Stadt. Dass Esbjerg heute neben dem niederländischen Eemshaven der wichtigste Umschlagplatz an der europäischen Nordseeküste für Offshore-Windequipment ist, war vor 20 Jahren nicht absehbar.
Mit jedem Kilometer, den der Bus sich Esbjerg genähert hat, ist das Wetter gefühlt ungemütlicher geworden. Von See her wabern Nebelschwaden ins Binnenland. Als der Bus vor dem Hotel parkt, kann von guter Sicht längst nicht mehr die Rede sein. „Wird schon, an der See ändert sich das Wetter immer schnell“, beruhigt der Busfahrer.
Denkste! Am nächsten Morgen liegt ganz Esbjerg unter einer dicken Nebeldecke. Verzweiflung macht sich beim Team des Kabelunternehmens breit, eine Ausfahrt mit dem gecharterten Boot zu den 80 Offshore-Windenergieanlagen sei so nicht möglich. Hektisch wird mit einer Helikopterfirma auf dem kleinen Flugplatz Esbjerg − sozusagen Plan B − telefoniert. Die nächste Absage: Die Sichtverhältnisse vor der Küste seien so eingeschränkt, dass ein Flug über den Meereswindpark keinen Sinn ergebe. Einziger Tipp: Warten auf eine Wetteränderung.
Warten.
Seeluft hat den Windkraftanlagen schwer zugesetzt
Es tut sich aber nichts, selbst nach dem dritten, vierten Kaffee hat sich die Nebeldecke nicht gelichtet. Irgendwann um die Mittagszeit fällt die Entscheidung: Die Pressereise wird abgebrochen, es geht den gleichen Weg zurück nach Hannover (und für mich wieder bis auf die Insel, nach Langeoog). Die Pressereise ist nicht ins Wasser gefallen, sie ist im Nebel abgesoffen.
Womit eigentlich hinter dieser Dienstreise mit null journalistischem Ertrag ein Haken gemacht werden könnte. Wenn nicht Horns Rev I wenige Monate später ganz viele Schlagzeilen gemacht hätte, und zwar negative.
Die feucht-salzige Seeluft muss den 80 Windkraftanlagen in kürzester Zeit derart zugesetzt haben, dass die Vestas-Maschinen vom Typ V80 mit jeweils 2 MW Leistung immer mehr Aussetzer und Kurzschlüsse aufwiesen und deshalb alle Gondeln auf See komplett runtergeholt werden mussten. Ein für die junge Geschichte der Offshore-Windenergie bis dahin einmaliges Unterfangen.
Vestas machte für dieses Desaster damals Produktionsfehler aufseiten des Zulieferers ABB AG verantwortlich. Nicht nur die Transformatoren in den Maschinenhäusern seien schlecht isoliert gewesen, sondern auch die Generatoren in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Reparatur kostete Vestas laut eigenem Geschäftsbericht für das Jahr 2004 an die 40 Millionen Euro. Darüber hinaus waren noch Entschädigungen für die Produktionsausfälle an den Betreiber Elsam A/S fällig, der später mit anderen Energieversorgern in Dong Energy aufging.
Lessons learned. Ein solcher Schaden ist an Offshore-Windenergieanlagen − soweit bekannt − in den Folgejahren bis heute nicht wieder aufgetreten. Vielleicht haben sich erste Offshore-Windanlagen schon Anfang 2004 im Nebel vor Blavands Huk nicht gedreht. Das weiß bis heute nur der Nordseewind.
Mit einer Leistung von insgesamt 160 MW ist „Horns Rev I“, so der offizielle Name, der in jenen Tagen mit Abstand leistungsstärkste Meereswindpark der Welt. Schon seit den frühen 1990er-Jahren hat Dänemark mit den beiden Ostseeprojekten Vindeby und Tuno Knob erste Erfahrungen mit der Meereswindanwendung gesammelt. Mit einer Leistung von jeweils 5 MW sind die beiden Pionierseewindparks, die in ziemlich flachen Gewässern errichtet worden sind, jedoch richtige Minis gegenüber Horns Rev.
Was aber zählt: Die Dänen, ohnehin die Väter und Mütter der modernen Windkrafttechnologie, reden nicht nur, sie packen auch an. Das Land ist bei der Windenergie Technologieführer, würde es heute heißen. Zur Erinnerung: Vor der deutschen Küste geht erst knapp zehn Jahre später das sogenannte Testfeld Alpha Ventus mit 60 MW Leistung in Betrieb.
Fahrt mit dem Mannschaftsbus von Hannover 96
Mit Horns Rev beginnt eine neue Ära für die Windenergie, sind sich viele Unternehmen in der Branche sicher. Wer will nicht zu den Technologieführern gehören? Um das die Welt wissen zu lassen, organisiert so manche an Horns Rev beteiligte Firma Pressereisen. Digitale Plattformen wie Instagram, LinkedIn oder Twitter sind kurz nach der Jahrtausendwende noch nicht erfunden.
Und so landet Anfang 2004 eine solche Einladung auch in der Herrschinger E&M-Zentrale. Stolz will die Deutschland-Dependance eines französischen Kabelherstellers präsentieren, dass Horns Rev ohne die eigenen Seekabel nicht funktionieren würde.
Für mich, bei E&M der Mann für die Windenergie, beginnt damit eine nicht alltägliche Dienstreise. Windenergieanlagen live draußen auf See zu besichtigen, ist journalistisches Neuland, ein nicht alltägliches Abenteuer, das sich niemand gerne entgehen lässt.
Pech für mich, dass der geplante Dänemark-Trip sich mit einem Familienurlaub auf der Nordseeinsel Langeoog überschneidet. Da in jenen Tagen woke Formulierungen wie „Work-Life-Balance“ noch nicht erfunden sind, ist für mich die Urlaubsunterbrechung keine Frage. Also runter von der Insel, mit der Fähre nach Bensersiel. Von dort mit dem im Hafenareal geparkten Auto zum nächstmöglichen Bahnhof nach Esens und weiter mit dem Zug nach Hannover.
Erste Überraschung nach einem nächtlichen Hotelzwischenstopp am nächsten Morgen in Niedersachsens Landeshauptstadt: Am vereinbarten Treffpunkt parkt der leibhaftige Mannschaftsbus von Hannover 96. Auf der roten-schwarzen Lackierung, der Farbe des Vereinstrikots, prangt an jeder Seite in Übergröße eine „96“. Dass das Logo in den Farben Schwarz-Weiß-Grün gehalten ist, versteht sich von selbst. Mitten in der Woche konnte das Reiseunternehmen, bei dem der Kabelhersteller einen Bus geordert hatte, sein auffälliges Flaggschiff so gut auf die Bahn bringen.
Zweite Überraschung: Für die Pressereise zu Horns Rev muss es beim Kabelhersteller reihenweise Absagen aus dem Journalistenkreis gegeben haben. Neben mir ist nur die Volontärin eines Fachverlags mit Sitz in Hannover mit an Bord − begleitet von einer kleinen Crew der Marketing- und Vertriebsabteilung des Kabelproduzenten. Auf fast allen Sitzen, wo ansonsten der damalige 96er-Trainer Ralf Rangnick, die Mannschaft, die Ersatzspieler, Betreuer und Vorstandsmitglieder Platz finden, herrscht gähnende Leere. Riesenaufwand für wenig journalistische Coverage.
Den Grenzübergang Ellund hat der Bus längst passiert. Und auch beim Autobahnkreuz Kolding hat der Fahrer die richtige Abfahrt Richtung Westküste, Richtung Esbjerg, genommen. Fischiger Gestank liegt bei Ankunft über dem Hafenareal. Ist doch Esbjerg der damals größte Fischereihafen an der dänischen Westküste. Zwar ist die Fangflotte in den zurückliegenden Jahren von 700 Trawlern und Kuttern auf nur noch 100 Fangschiffe geschrumpft, doch spielt die Fischerei nach wie vor eine wichtige wirtschaftliche Rolle für die Stadt. Dass Esbjerg heute neben dem niederländischen Eemshaven der wichtigste Umschlagplatz an der europäischen Nordseeküste für Offshore-Windequipment ist, war vor 20 Jahren nicht absehbar.
Mit jedem Kilometer, den der Bus sich Esbjerg genähert hat, ist das Wetter gefühlt ungemütlicher geworden. Von See her wabern Nebelschwaden ins Binnenland. Als der Bus vor dem Hotel parkt, kann von guter Sicht längst nicht mehr die Rede sein. „Wird schon, an der See ändert sich das Wetter immer schnell“, beruhigt der Busfahrer.
Denkste! Am nächsten Morgen liegt ganz Esbjerg unter einer dicken Nebeldecke. Verzweiflung macht sich beim Team des Kabelunternehmens breit, eine Ausfahrt mit dem gecharterten Boot zu den 80 Offshore-Windenergieanlagen sei so nicht möglich. Hektisch wird mit einer Helikopterfirma auf dem kleinen Flugplatz Esbjerg − sozusagen Plan B − telefoniert. Die nächste Absage: Die Sichtverhältnisse vor der Küste seien so eingeschränkt, dass ein Flug über den Meereswindpark keinen Sinn ergebe. Einziger Tipp: Warten auf eine Wetteränderung.
Warten.
Seeluft hat den Windkraftanlagen schwer zugesetzt
Es tut sich aber nichts, selbst nach dem dritten, vierten Kaffee hat sich die Nebeldecke nicht gelichtet. Irgendwann um die Mittagszeit fällt die Entscheidung: Die Pressereise wird abgebrochen, es geht den gleichen Weg zurück nach Hannover (und für mich wieder bis auf die Insel, nach Langeoog). Die Pressereise ist nicht ins Wasser gefallen, sie ist im Nebel abgesoffen.
Womit eigentlich hinter dieser Dienstreise mit null journalistischem Ertrag ein Haken gemacht werden könnte. Wenn nicht Horns Rev I wenige Monate später ganz viele Schlagzeilen gemacht hätte, und zwar negative.
Die feucht-salzige Seeluft muss den 80 Windkraftanlagen in kürzester Zeit derart zugesetzt haben, dass die Vestas-Maschinen vom Typ V80 mit jeweils 2 MW Leistung immer mehr Aussetzer und Kurzschlüsse aufwiesen und deshalb alle Gondeln auf See komplett runtergeholt werden mussten. Ein für die junge Geschichte der Offshore-Windenergie bis dahin einmaliges Unterfangen.
Vestas machte für dieses Desaster damals Produktionsfehler aufseiten des Zulieferers ABB AG verantwortlich. Nicht nur die Transformatoren in den Maschinenhäusern seien schlecht isoliert gewesen, sondern auch die Generatoren in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Reparatur kostete Vestas laut eigenem Geschäftsbericht für das Jahr 2004 an die 40 Millionen Euro. Darüber hinaus waren noch Entschädigungen für die Produktionsausfälle an den Betreiber Elsam A/S fällig, der später mit anderen Energieversorgern in Dong Energy aufging.
Lessons learned. Ein solcher Schaden ist an Offshore-Windenergieanlagen − soweit bekannt − in den Folgejahren bis heute nicht wieder aufgetreten. Vielleicht haben sich erste Offshore-Windanlagen schon Anfang 2004 im Nebel vor Blavands Huk nicht gedreht. Das weiß bis heute nur der Nordseewind.
Ralf Köpke
© 2024 Energie & Management GmbH
Dienstag, 16.07.2024, 09:12 Uhr
Dienstag, 16.07.2024, 09:12 Uhr
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