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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Wenn der Ex zahlen soll
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Wenn der Ex zahlen soll
Stadtwerke fordern von Geschäftsführern nach Verlusten im Energiehandel Schadenersatz. Was deckt die D&O-Police ab?
 
Seinen Abschied hatte sich Christoph Trautmann so sicher nicht vorgestellt. Nach fünfeinhalb Jahren an der Spitze der Stadtwerke Aalen wurde er vergangenen Dezember fristlos entlassen. Im Jahr davor hatte die baden-württembergische 67.500-Seelen-Kommune seinen Geschäftsführervertrag noch bis 2029 verlängert.

Jetzt begleiten tiefrote Zahlen den Abgang des 53-Jährigen. 16,9 Millionen Euro Verlust stehen nach Angaben der Stadtverwaltung für 2024 zu Buche. Ein Ergebnis jenseits der Prognosen: Noch im November 2024 hätten der damalige Geschäftsführer und der damalige kaufmännische Leiter einen Gewinn für das Geschäftsjahr 2024 vorausgesagt, teilte das Rathaus diesen April mit. Und wies auf „gravierende Managementfehler“ hin. Ausschlaggebend für die Schieflage sollen „fehlerhafte Beschaffungsentscheidungen“ und „ausgelagerte Dienstleistungen“ gewesen sein.

Trautmann fechtet die Kündigung an und verlangt, dass die Stadtwerke für die Schäden aufkommen, „die ihm durch die außerordentliche Kündigung entstanden sind und zukünftig entstehen“, wie das Landgericht Ellwangen erklärt. Der geschasste Chef wehrt sich zudem gegen öffentliche Äußerungen der Stadt zum Sachverhalt.

Die Stadtwerke wollen den Ex-Geschäftsführer in Regress nehmen. Sie haben Ende Mai Widerklage eingereicht. „Mit der Widerklage begehrt die Beklagte die Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 4.385.014,56 Euro, weiteren 7.498,44 Euro und die Verpflichtung des Klägers zu weiterem Schadensersatz, der noch nicht beziffert ist“, erläuterte das Landgericht auf Anfrage von E&M.

Ansgar Pallasky schätzt, dass es inzwischen zehn Fälle gibt, in denen sich Stadtwerkegeschäftsführer nach Verlusten im Energiehandel Schadenersatzforderungen gegenübersehen. „Wir spüren, dass der Druck auf kommunale Unternehmensleiterinnen und Unternehmensleiter durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und Energiepreisentwicklung erheblich zugenommen hat“, sagt der Rechtsanwalt. Pallasky führt die Geschäfte des Berufsverbands kommunaler Unternehmensleiter (BKU).

Deutlicher Anstieg des Beratungsbedarfs

Der Verband mit Sitz in Frankfurt am Main verzeichnet seit 2023/2024 „einen deutlichen Anstieg des Beratungsbedarfs“. „Die allermeisten Beratungsanfragen drehen sich um den Energieeinkauf und die Organisation, die dahintersteht. Solche Anfragen hatten wir vorher nicht“, sagt Pallasky.

Stadtwerkechefs sind der Regel über eine D&O-Versicherung − das Kürzel steht für Directors and Officers − vor den finanziellen Folgen von Managementfehlern oder Pflichtverletzungen geschützt. Diese Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen für Führungskräfte und Organmitglieder von Unternehmen seien in ihren Bedingungen für die Versicherungsnehmer beziehungsweise versicherten Personen mittlerweile häufig sehr freundlich ausgestaltet, berichtet Pallasky.

So sei etwa der Deckungsausschluss üblicherweise auf vorsätzliche Pflichtverletzungen reduziert worden. „Bedingt vorsätzliche Pflichtverletzungen sind oft abgedeckt.“ Ältere Bedingungswerke enthielten aber möglicherweise auch noch Klauseln, „die ungünstiger oder unklar sind“. Der BKU-Experte empfiehlt, die Police „mindestens alle zwei Jahre“ überprüfen zu lassen.

Auch rät er, die Ausgestaltung der Police – zuständig für den Abschluss ist das geschäftsführende Organ – mit dem Aufsichtsgremium abzustimmen. Der Verwaltungs- oder Aufsichtsrat gehört für gewöhnlich mit zum Kreis der versicherten Personen. „Die D&O ist auch ein Bilanzschutz für das Unternehmen“, sagt der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Der BKU habe häufig Fälle, in denen der Aufsichtsrat in geschäftspolitische Entscheidungen im Hinblick auf den Energieeinkauf involviert gewesen ist. Bemerkenswert sei allerdings „die Disparität bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen“, betont Pallasky. „Ich kenne genau einen Fall in der Rechtsprechung, und der ist nicht aus dem Stadtwerkebereich, wo Ansprüche gegenüber dem Aufsichtsgremium verfolgt worden sind.“

Hundert Kilometer südwestlich von Aalen sieht sich der Aufsichtsrat nach einem Millionen-Defizit entlastet. „Im Aufsichtsrat herrschte große Verunsicherung, ob wir als Gremium etwas falsch gemacht haben“, zitierte die Stadt Sigmaringen ihren Bürgermeister diesen Juli in einer Pressemitteilung. Die Stadtwerke verbuchen für 2023 einen Verlust von 11,4 Millionen Euro, auch für 2024 und 2025 rechnet man mit „außerordentlichen Belastungen“.

Compliance-Untersuchungen hätten „verschiedene Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen auf der Ebene der Geschäftsführung“ ergeben, gab die Stadt bekannt. Der vormalige Geschäftsführer Markus Seeger soll Energie zu spät und zu überteuerten Preisen eingekauft haben, es soll Fehlkalkulationen von Preisen und Energiemengen gegeben haben und er soll Aufsichtsrat und Kommune erst verspätet über den Geschäftsverlauf unterrichtet haben. Ein Fehlverhalten des Aufsichtsrats oder Gesellschafters Stadt Sigmaringen sei in der Analyse nicht festgestellt worden.

Hätten die Gremien nicht genauer nachfragen müssen? „Der Aufsichtsrat muss Aussagen der Geschäftsführung nicht grundsätzlich anzweifeln, er darf darauf vertrauen,“ sagt Seegers Nachfolger Falk-Wilhelm Schulz über die Rechtslage und verweist auf den Compliance-Bericht. Andernfalls, erläutert Schulz, müsste der Aufsichtsrat beispielsweise jedes Mal eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einschalten, wenn die Geschäftsführung einen neuen Wirtschaftsplan vorlegt.

​Wann muss ein Ex-Chef den Schaden begleichen?

Seeger hatte den Posten in der 17.000 Einwohner zählenden Stadt im Frühjahr 2021 übernommen. Im August 2024 musste er gehen. Das arbeitsrechtliche Verfahren läuft noch. Das kommunale Unternehmen hat bei der D&O-Versicherung Schadenersatzforderungen angezeigt. „Wir ermitteln gerade deren Höhe“, sagt Schulz. Fest stehe, dass es sich um einen Millionenbetrag handelt.

Wann muss ein Ex-Chef den Schaden begleichen? „Dazu müsste er silberne Löffel gestohlen haben“, sagt Pallasky. Dass eine vorsätzliche Pflichtverletzung beim Einkauf von Strom und Gas während der Energiekrise vorliegt, könne man regelmäßig ausschließen. „Die extremen Preisausschläge an den Beschaffungsmärkten und staatliche Vorgaben wie die Preisbremsen haben viele Stadtwerke in ihren Organisationsstrukturen überfordert.“ Dass die Versicherung „den Stecker zieht“ sei die Ausnahme. Wenn es am Ende zu einer Deckung kommt, dann fast immer im Rahmen eines Vergleichs − 99 Prozent der Fälle enden so.

Noch offen ist, ob es im prominentesten Fall zu einer solchen Schadenersatzforderung kommt. 15 Monate ist es her, dass die Dortmunder Stadtwerke, DSW 21, Heike Heim fristlos vor die Tür setzten. Auslöser waren Vorgänge in ihrer Zeit als Vorsitzende der Geschäftsführung der Energietochter DEW 21.

Heim soll bei der Energiebeschaffung Pflichten verletzt haben. „Konkret geht es um das Überschreiten von Risikoobergrenzen sowie um die Nichteinhaltung von Informationspflichten gegenüber den Gremien der DEW 21.“ Das Unternehmen stützt sich auf ein im Juli vorgelegtes Gutachten einer Rechtsanwaltskanzlei. Heim klagt gegen die Kündigung und fordert rund 270.000 Euro an Gehaltsnachzahlungen. „Über die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen Frau Heim werden die DEW-21-Gremien zu gegebener Zeit entscheiden“, teilte ein Sprecher mit.

Nach einer Erhebung des Gesamtverbands der Versicherer (GDV) haben Managerhaftpflicht-Versicherer im Jahr 2023 branchenübergreifend in 2.200 Fällen wegen Pflichtverstößen regulieren müssen. Das waren fast 7 Prozent mehr als im Vorjahr. „Auch für die nähere Zukunft rechnen die Versicherer mit vermehrten Schadenersatzforderungen gegen Manager“, berichtete der GDV im Herbst vergangenen Jahres.
 

Manfred Fischer und Fritz Wilhelm
© 2025 Energie & Management GmbH
Freitag, 05.09.2025, 08:59 Uhr

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