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Enerige & Management > E&M Vor 20 Jahren - Vorfreude auf 2050
Quelle: Shutterstock
E&M VOR 20 JAHREN:
Vorfreude auf 2050
Bereits vor 20 Jahren, also im Jahr 2005, wurde sich intensiv mit der Kernfusion auseinandergesetzt. Es wird ernst, hieß es damals. 
 

Im Juli 2005 berichtete E&M-Redakteurin Cerstin Gammelin über den geplanten Bau eines Fusionsreaktors im französischen Cadarache. Wissenschaftler äußerten damals die Erwartung, Fusionsstrom könne ab Mitte des Jahrhunderts einen relevanten Beitrag zur Energieversorgung leisten. 

Heute wird das Thema mit größerer Zurückhaltung diskutiert. Der Reaktor befindet sich weiterhin im Bau. Mit einem Budget von mehr als 20 Milliarden Euro gilt das Vorhaben als teuerstes Forschungsprojekt weltweit. Der Beitrag aus unserer Rubrik „E&M vor 20 Jahren“ zeigt, dass bereits damals technische und wirtschaftliche Risiken breit diskutiert wurden – trotz der damals vorherrschenden Zuversicht


Auch die Auseinandersetzung um die Kernfusion offenbarte über Jahre die Konzeptlosigkeit der Bundesregierung. Umweltminister Jürgen Trittin hatte sie nicht auf seine energiepolitische Agenda gesetzt. Wirtschaftskollege Wolfgang Clement ignorierte sie. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn gab jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge für sie aus, redete aber ungern darüber. Die Opposition hatte sie offensichtlich vergessen. „Unrealistisch“ nennt sie noch heute der Wissenschaftler Felix Christian Matthes vom Ökoinstitut, „überflüssig“ der Träger des alternativen Nobelpreises, Hermann Scheer, SPD-Vorstandsmitglied. 50 Jahre Hochtechnologieforschung. Ergebnis Null, schimpft seit Jahren der forschungspolitische Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell. „Die Forscher haben noch keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt“.

„Stimmt“. Professor Alexander Bradshaw, wissenschaftlicher Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, lächelt milde. Er kennt den Vorwurf, hinter dem sich das rot/grüne Hickhack um die Fusionsforschung verborgen hat. Der Brite hält den Nachweis der Stromerzeugung nicht für dringlichste Problem der Forscher. Zumal erst ein Fusionsreaktor gebaut werden muss, der genügend Energie liefert. Und in dieser Sache vermeldet der oberste Lobbyist der deutschen Fusionsforscher gerade zwei gewichtige Neuigkeiten.

Zunächst einen Forschungserfolg: Eine Kraftwerksstudie des Europäischen Forschungsprogramms belegt, dass der bei der Kernfusion entstehende Abfall nicht wie derjenige aus herkömmlichen Kernspaltungskraftwerken endgelagert werden muss. Und: Die Europäische Union hat sich wie angekündigt noch unter der Präsidentschaft Luxemburgs dafür entschieden, die Verträge zum Bau des internationalen Forschungsreaktors Iter – International Thermonuclear Experimental Reactor – am französischen Standort Cadarache zu unterzeichnen. „2006 geht es los, ab 2020 könnte Strom fließen und im Jahr 2050 könnte das Fusionskraftwerk so selbstverständlich sein wie heute Kohlekraftwerke“, sagt Bradshaw.

Die Sonne nachzubauen ist die größte technologische Herausforderung für die Energieerzeugung, meint Jürgen-Friedrich Hake vom Forschungszentrum Jülich. Ein Fusionskraftwerk soll gleich einem leuchtenden Stern Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Die höchste Ausbeute bei der niedrigsten Plasmatemperatur verspricht die Verschmelzung der Wasserstoffatomkerne Deuterium und Trituium. Der hochkomplizierte physikalische Prozess liegt Hake zufolge mindestens teilweise „jenseits heutiger Vorstellungskraft“. Weil das Fusionsfeuer erst bei einer Temperatur von über 100 Millionen Grad zündet, muss der Brennstoff, ein extrem dünnes Wasserstoff-Plasma mit einer Dichte, die eine Viertel Million mal geringer ist als diejenige normaler Atemluft, gut wärmeisoliert werden. Das Plasma darf die aus Spezialstahl aufwändig produzierte Wand, die zusätzlich mit Keramikkacheln geschützt ist, nicht berühren und schwebt, von starken Magnetfeldern gehalten, nahezu berührungsfrei im Innern der Vakuumkammer. Für diesen magnetischen Käfig gibt es zwei alternative Bauarten, die klingende Namen tragen: Tokamak – eine Komposition verschiedener russischer Worte – und Stellarator – eine US-Erfindung, die vom lateinischen Stella, Stern, abgeleitet so viel bedeutet wie: Sternenfeuer auf die Erde holen.

In der Forschung hat der Tokamak die Nase vorn, in dem die Forscher im britischen Oxford 1997 erstmals ein glimmendes Plasma erzeugten, das zwei Drittel der Energie zurück lieferte, die zum Aufbau des Plasmas eingesetzt wurde. Der Beak-Even scheiterte an der mangelnden Größe des Reaktors, sagen die Forscher, die seitdem darauf drängen, den Beweis in einem größeren Forschungskraftwerk, dem Iter, zu liefern. Brennt das Plasma erst einmal, soll endlich auch Strom erzeugt werden. Das Konzept sieht vor, die Neutronen durch das magnetische Feld (von dem sie nicht abgelekt werden) auf die Reaktorwandungen prallen zu lassen. Durch den Aufprall wandelt sich ihr Bewegungsenergie in Wärme, die Wand wird nach Auskunft der Forscher auf bis zu 600 Grad Celsius erhitzt. Die Wärme wird durch Kühlmittel wie Heliumgas oder Wasser aufgenommen, das entstehende Gas treibt dann wie bei herkömmlichen Kraftwerken die angeschlossenen Turbinen zur Stromerzeugung an.

Der Charme der Fusion scheint unwiderstehlich. „Eine Lithiumbatterie und fünfundvierzig Liter Wasser können vierzig Tonnen Steinkohle ersetzen“, hat Bradshaw ausgerechnet. Damit könne ein Mitteleuropäer 30 Jahre lang mit Strom versorgt werden. Ein Supergau, vergleichbar mit Tschernobyl, sei dabei ausgeschlossen. Und nun stehe fast: Eine aufwändige und gefährliche Endlagerung wie bei Abfällen aus der Kernspaltung ist nicht erforderlich. „Das biologische Gefährdungspotenzial durch Radioaktivität saust rasant nach unten“, sagt Bradshaws Kollegin Isabella Milch. Einhundert Jahre nach dem Abschalten des Fusionsreaktors, dessen Betriebszeit auf 40 Jahre ausgelegt ist, könne die Anlage so zurückgebaut werden, dass lediglich 8.000 t des Abfalls unter besonderen Schutzmaßnahmen behandelt werden müssten, bevor beispielsweise das Lager Conrad eine geeignete Verbringungsstätte wäre. Weitere 30.000 t könnten „einfach recycliert werden“. Und 36.000 t seien normaler Abfall.

Doch der Vorteil der Fusion, praktisch unbegrenzt Energie zu erzeugen, könnte auch deren Nachteil sein. Denn Fusionsreaktoren sind Riesenkraftwerke, die Unmengen Strom erzeugen. Sie sind hoch anfällig, denn das Plasma kollabiert bei der kleinsten Störung. Die Folge wäre ein Stromausfall für hunderttausende Haushalte. Um eine Notversorgung zu sichern, müsse ein Drittel Reservekapazität vorgehalten werden.

Dass das Fusionsprojekt seit vielen Jahren auf der Stelle trat, ist nicht ausschließlich dem wissenschaftlichen Fortschritt anzulasten. Es tobte ein transatlantischer Streit um den Standort für das gigantische 4,7-Mrd.-Weltprojekt Iter. Schon 1988 beschlossen führende Industrieländer seinen Bau. Nach 15 Jahren weiterer Vorbereitungen haben die sechs Partner, das sind die Europäische Union, China, Russland, Südkorea, Japan und die USA, auch die Finanzierung geklärt. Fünf Mrd. Euro sollten über 10 Jahre investiert werden. Doch wo? Ein Ministertreffen sollte im Dezember 2003 die Entscheidung zwischen Cadarache in Frankreich und einem japanischen Standort fällen. Doch im Zuge der Verstimmungen über die europäische Irak-Politik zogen die USA ihre angekündigte Zusage für den französischen Standort zurück und votierten statt dessen gemeinsam mit Südkorea für Japan. Die EU, Russland und China stimmten für Cadarache. Man vertagte sich. Im Sommer 2004 warben die EU und Japan bilateral jeweils für die Zustimmung des anderen und boten dem jeweiligen „Verlierer“ Kompensationspakete – Industrieaufträge – an. Vergebens. Inzwischen drängten die Franzosen die EU und deren Partner zum Alleingang.

Am 26.11.2004 bestätigte der EU-Ministerrat den Standort Cadarache, mit oder ohne US-amerikanische Beteiligung. Sogar eine Finanzierung wurde verabschiedet: 40 Prozent EU-Gelder, 20 Prozent Frankreich. Je 10 Prozent Russland und China. Deutschland würde sich über den EU-Haushalt an Iter beteiligen, verteilt auf zehn Jahre sind 400 bis 500 Mio. Euro im Gespräch. Weitere Forschungsbeteiligungen sollten Indien und Brasilien angeboten werden. Die Forscher, denen alles zu lange dauert, könnten Projekt billiger machen und Industrieaufträge an Russland und China vergeben, argumentierte damals Bradshaw. Am 28. Juni 2006 fiel nun die Entscheidung: für Cadarache.

Entgegen aller rot-grünen Beteuerungen, aus der Fusionsforschung auszusteigen, wird auch die Bundesregierung weiterhin Millionenbeträge investieren. Das novellierte Energieforschungsprogramm sieht vor, für die Fusionsforschung bis zum Jahr 2008 jährlich rund 114,9 Mio. Euro auszugeben. Bisher waren es 115 Mio. Euro.
 

Cerstin Gammelin
© 2025 Energie & Management GmbH
Freitag, 27.06.2025, 05:40 Uhr

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