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Enerige & Management > E&M Vor 20 Jahren - "The Basics are done"
Quelle: Shutterstock
E&M VOR 20 JAHREN:
"The Basics are done"
Die Energiewirtschaft ist eine Branche im permanenten Wandel. Entsprechend gut ist die Auftragslage für Berater. Vor 20 Jahren war das nicht anders.
 
Erst wenige Jahre, genaugenommen erst vier Jahre, war der Energiemarkt im Jahr 2002 liberalisiert. Der Wettbewerb der Energieversorger kam zumindest beim Strom so langsam in Gang. Deshalb stellten sich viele Marktteilnehmer die Frage, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um im Wettbewerb zu bestehen. Kosten senken, Kunden halten und neue Kunden gewinnen, war die einfache Formel, die viele Strategieberater damals als Leitlinie ausgaben.

Vor diesem Hintergrund sprach E&M-Chefredakteur Helmut Sendner vor 20 Jahren mit einigen Beratern über die To-Do-Listen der Energieversorger, die damals mit ungewohnten und ungewohnt vielen Anglizismen gespickt waren.

Hier der leicht gekürzte Beitrag.

Eon und RWE haben Milliarden Euro in Akquisitionen gesteckt und viele Millionen für Berater ausgegeben. Sie sind europäisch aufgestellt und haben noch prall gefüllte Kassen, um ihren Expansionsdrang zu finanzieren. Die Börse hat ihnen das bisher nicht gedankt. Die MVV Energie AG, erstes börsennotiertes Stadtwerk in Deutschland, hat in kurzer Zeit den Umsatz vervielfacht, tanzt auf europäischem Parkett mit schönsten Kleidern – die Aktie liegt unter dem Ausgabekurs.

Warum vertrauen die Analysten den Versorgern nicht? Weil die Hausaufgaben doch noch nicht erledigt sind? Müssen die Stadtwerke um ihre Existenz bangen, weil sie allein nicht überlebensfähig sind?

„Die meisten Stadtwerke-Kooperationen werden nicht zum Erfolg führen“

Werden Beratern solche Fragen gestellt, dann erkennen sie immer Handlungsbedarf. Beraten ist ihr Geschäft, und das läuft hervorragend. Ein Ex-Manager eines Stadtwerks wurde zum Ein-Mann-Berater. Der weltgrößte Unternehmensberater Accenture hat seine Energiestäbe genauso ausgebaut wie A. T. Kearney. Booz Allen Hamilton (BAH) öffnet die EVU-Türen mit Hilfe des ehemaligen EnBW-Vorstands Karlheinz Bozem.

„Nach der ersten Re-Engineering-Welle, im zweiten Schritt der Konsolidierungswelle, sind wir jetzt an einem Punkt angelangt, wo man neue, innovative Wege für Kostensenkungspotenziale finden muss“, so die A.T.-Kearney-Prinzipalin Anja Dotzenrath, deren Hauptwohnsitz Flugzeuge rund um den Kontinent sind. „Branchen übergreifende Wertschöpfungspartnerschaften“ müssen geschlossen werden, sagt Dotzenrath. „Die können aber auch branchenintern sein“, meint Klaus-Dieter Maier, Chef der weltweiten Energiesparte von A.T. Kearney, und verweist auf England. Dort haben EVU gemeinsame Netzbetriebsgesellschaften, mit gemeinsamer Instandhaltung und Logistik. Maier: „Es geht darum, Skaleneffekte zu nutzen. Bei branchenübergreifenden Ansätzen steht im Vordergrund, den Kapitaleinsatz und die Personalbindung zu reduzieren. Das sind zwei ganz wesentliche Faktoren bei der Gesamtrentabilität und damit bei der Bewertung durch den Aktienmarkt.“

Harald Lührmann, Accenture-Partner und zuständig für die Stadtwerke sagt: „Die meisten der sich im Moment in Bewegung befindlichen Stadtwerke-Kooperationen werden nicht zum Erfolg führen.“ Ausnahmen werde es dort geben, wo völlig neue Aufgabenbereiche durch die Kooperationen angegangen wurden oder wo die Partner an Dritte oder gemeinsame Tochtergesellschaften etwas abgegeben haben. Wenn Stadtwerke sich nicht verändern, dann seien sie „nicht überlebensfähig“, warnt Lührmann. Die kommunalen Versorger müssten sich entlang der Wertschöpfungskette auf bestimmte Bereiche konzentrieren.

Lührmann war früher im Vorstand der Stadtwerke Kassel und weiß daher, wovon er spricht. „Im Bereich Netzmanagement sind Veränderungen notwendig, die nichts mit Größe zu tun haben.“ Offensives Management sei im Bereich der Kundenkanäle notwendig. Allerdings sieht Lührmann da schon wieder Grenzen: „Ein kleines Stadtwerk kann die notwendige IT-Unterstützung nicht darstellen, dafür kann es andere Dinge optimal.“

Ein schwieriger Spagat, den die Stadtwerke nach Ansicht von Lührmann vollziehen müssen: „Die Stadtwerke-Landschaft mittelständischer Prägung beschert uns eine schöne Pluralität, aber die notwendigen Veränderungen müssen schneller als bisher vollzogen werden, damit die Stadtwerke überlebensfähig sind. Das heißt, nicht alles, was von einem Stadtwerk bisher gemacht wurde, kann in Zukunft weiter gemacht werden.“ Bozem sagt es mit anderen Worten: „Durch den bislang günstigen Stromeinkauf haben die Stadtwerke ihre Kostenseite noch nicht im notwendigen Maß angepasst, und sie haben die Zeit nicht genutzt, darüber nachzudenken, wie sie als richtiges Mitglied am Markt auftreten müssen.“

„Multi Utility nie erfolgreich realisiert“

„Multi Utility“ kommt da zwangsläufig ins Gespräch. Etwas, was die Stadtwerke seit jeher für sich beanspruchen: Strom, Gas und Wasser aus einer Hand. Doch genügt das? Bozem gibt zu bedenken: „In den deutschsprachigen Ländern ist zumindest von den großen Unternehmen der Multi-Utility-Ansatz nie erfolgreich realisiert worden.“ Der Partner bei Booz Allen Hamilton verweist auf England, wo es tatsächlich Cross-Selling gibt.

Die Insel dient auch dem A.T.-Kearney-Duo als Beispiel für die deutschen Defizite. Dotzenrath: „Wenn man sich die Entwicklung in U.K. anschaut, dann sieht man, dass Multi Utility ein Treiber im Wettbewerbsmarkt ist.“ Der Preis sei zwar immer das Alpha-Thema beim Versorgerwechsel, „aber es muss die Wahrnehmungsschwelle erhöht werden, dass durch den Kauf von Strom, Gas, Wasser, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen ein sehr guter Kosten-, Qualitäts- und Convenience-Vorteil entsteht“, so Dotzenrath. Jeder der Gesprächspartner kommt bei England vor allem auf Centrica zu sprechen. Wie eine kürzlich abgeschlossene Accenture-Studie zeigt, haben in Großbritannien 40 Prozent der Haushaltskunden ihren Versorger gewechselt. Alle Kunden insgesamt haben im Durchschnitt mehr als einmal den Lieferanten gewechselt.

„The basics are done“, sagt die Rheinländerin Dotzenrath, „und jetzt kommt der nächste Schritt auf den ´Stages of Excellence´ in Richtung innovativ und Leadership.“

Quer durch die Beraterbranche herrscht eine Meinung vor: Führerschaft gibt es nicht ohne CRM. Denn den Kunden muss man kennen, man muss mit ihm kommunizieren, ihm dienen von der Wiege bis zur Bahre. CRM – der wichtigste Begriff. Sind die Versorger aber eher begriffsstutzig? Gibt es eine kritische Größen für CRM-Systeme? Lührmann: „Isoliert betrachtet nicht, aber je mehr man die Datenbasis ausbaut und in Geschäftsprozesse integriert, desto mehr sind größere Einheiten notwendig, um die Transaktionskosten zu senken.“ Maier sagt: „CRM-Systeme sind sehr teuer und sehr pflegeintensiv und lohnen sich nur bei Wechselraten von zehn Prozent aufwärts, die wir frühestens 2005 bekommen werden. Und trotzdem sind die Unternehmen gezwungen, heute IT-Investitionsentscheidungen zu fällen, die eine Verknüpfung zu CRM haben.“

Nur rudimentäre Vorstellungen, wer die Kunden sind
 
Nach Ansicht von Bozem haben Viele Unternehmen nur rudimentäre Vorstellungen davon, wer ihre Kunden sind und wie sie sich verhalten: „Da gibt es sehr viel Nachholbedarf.“ Kann ich dem Kunden die richtigen Produkte zum richtigen Preis anbieten – das sei die zentrale Frage.

Die Frage heißt aber auch: CRM technisch oder CRM strategisch? Die Antwort: Die Technik muss der Strategie folgen. Laut Bozem kommt aber auch erst einmal die Frage: „Kann ich mir bei der heutigen inversen Preisstruktur überhaupt Kundenbindungsmaßnahmen erlauben?“ Dabei sieht der Ex-EnBW-Vorstand noch andere Defizite beim Vertriebscontrolling: „Weiß ich genau, was ich an einem Kunden verdiene oder verliere; kann ich beurteilen, wie nachhaltig ein Kunde einen Ertragswert darstellt?“

Denken in Kapitalrendite ist noch Neuland

Kapitaleinsatz und Kapitalrendite, dieser profane Zusammenhang betriebswirtschaftlichen Denkens ist für die Ex-Monopolisten immer noch Neuland. Das Kraftwerk, ehemals die natürlichste Ertragsquelle eines EVU – braucht man das noch? Das Netz, heute Gewinnbringer, morgen defizitär? Was selbst machen, was outsourcen, wo Kooperationen, wo Alleingänge? „Wie kann ich teilweise fixe Kosten durch variable Kosten ersetzen, und dies mit ganz wesentlich verringertem Kapitaleinsatz“, so verallgemeinert Maier die allgemeine Verunsicherung bei den EVU.

Das geforderte Unbundling sieht es schon vor, dass Erzeugung, Transport und Vertrieb getrennt sind. Ist der heutige Zwang nicht auch eine unternehmerische Chance, sich nur auf einen Bereich zu konzentrieren, vielleicht in Kooperationen mit anderen?

Die Frage der Zukunft: Wer ist zu klein für was? Ist Ruhrgas zu klein für Europa, soll es eine Ministererlaubnis für die Übernahme durch Eon geben? Ohne Zögern gleich lautende Antworten: Ja, mit Auflagen.

Die Unternehmensberater werden in der Energiewirtschaft weiterhin gut beschäftigt sein. Die Frage, ob es bei den Beratern kritische Größen gibt, die wurde nicht gestellt.
 
 
 

Helmut Sendner und Fritz Wilhelm
© 2024 Energie & Management GmbH
Samstag, 25.06.2022, 14:45 Uhr

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