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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Selbst ist das System
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNG:
Selbst ist das System
In der Energiewirtschaft sind KI-Anwendungen schon gang und gäbe. Selbstlernende Systeme sind es jedoch noch nicht.
 
KI ist eigentlich ein alter Hut. Am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire hat der Begriff „künstliche Intelligenz“ im Jahr 1956 quasi das Licht der Welt erblickt. Dort trafen sich damals einige Wissenschaftler, um sich über ihre bisherige Arbeit und über maschinelles Lernen auszutauschen. Mittlerweile ist um KI ein regelrechter Hype entstanden, der auch die Energiewirtschaft erfasst hat. In der Vergangenheit ist der Begriff viel sparsamer verwendet worden, obwohl eine Reihe von branchenspezifischen Anwendungen durchaus zu Recht das Etikett „KI“ hätten tragen können. Dies meint auch Eric Veith, der an der Universität Oldenburg eine KI-Forschungsgruppe leitet.

Heute werden Methoden, beispielsweise zur vorausschauenden Wartung oder zur Lastprognose, fast schon selbstverständlich als KI in der Energiewirtschaft vermarktet. Mit den Sprachmodellen, Bildgeneratoren oder intelligenten Agenten, die in den vergangenen Monaten für Aufsehen gesorgt haben, haben sie allerdings kaum etwas zu tun.

Die Chatbots, die Fragen zur Abrechnung, zum Netzanschluss oder zu neuen Verträgen beantworten, lassen erahnen, was die Verbraucher in Zukunft als Standardschnittstelle zu ihrem Versorger erleben werden. Bei den Stadtwerken Troisdorf kommuniziert „Trobert“ mit den Kunden. Bei Envia M ist „Paul“ im Einsatz und bei Vattenfall heißt der Chatbot „Ida“. Kundenbindung und sogar Begeisterung versprechen sich manche Vertriebsverantwortliche von den digitalen Kollegen mit künstlicher Intelligenz − und eine Entlastung der Mitarbeiter bei Standardanfragen. Möglicherweise ist am Ende auch die Einsparung von Personal ein Faktor im Gesamtkalkül.

Die weniger öffentlichkeitswirksamen Einsatzgebiete der KI sind allerdings nicht weniger bahnbrechend für die Fachwelt als die medial bekannten Large-Language-Modelle.

Eric Veith forscht mit seinen Kolleginnen und Kollegen intensiv an selbstlernenden Agenten. Auch der Begriff „bestärkendes Lernen“ steht für Systeme, die nicht im Voraus mit Daten gefüttert werden müssen, sondern selbstständig durch „Trial and Error“ lernen. Der Agent bewertet den Zustand seiner Umgebung, errechnet anhand einer vorgegebenen sogenannten Nutzenfunktion, wie nahe er am gewünschten Idealzustand ist und führt dann die notwendigen Handlungen aus, um möglichst diesen Idealzustand zu erreichen.

Gerade von selbstlernenden Agentensystemen versprechen sich Wissenschaft und Praxis wertvolle Hilfe für den künftigen Betrieb der kritischen Infrastruktur. „Es geht nicht nur um Prognosesoftware, die aus der Energiewirtschaft schon gar nicht mehr wegzudenken ist, sondern um Systeme, die beispielsweise den Netzzustand wahrnehmen und selbstständig eine Handlung ausführen“, erläutert Veith.

Die Netzstabilisierung mit Batterien, PV-Anlagen und Windkraftanlagen oder mit steuerbaren Verbrauchern soll sich künftig mit solchen KI-Anwendungen bewerkstelligen lassen. Die vernetzten Anlagen stellen gemeinsam selbstständig anhand des Netzzustands fest, wann sie einspeisen, ihre Bezugsleistung reduzieren oder ganz stillhalten. „Sie kommunizieren miteinander und kommen automatisch zur Lösung“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe.

Die virtuellen Kraftwerke mit ihren Steuerungs- und Prognosealgorithmen, die heute schon auf der Produktivseite gang und gäbe sind, könne man durchaus als ersten Schritt in diese Richtung sehen.

Die Suche nach dem Heiligen Gral

Die Forschenden widmen ihre Aufmerksamkeit allerdings nicht nur den Ergebnissen der KI-Anwendungen. „Die hohe Kunst in Forschung und Produktivanwendung ist derzeit die Erklärbarkeit“, sagt Veith. Fragen wie „Warum tut ein Agent dies?“ oder „Welche Eingabewerte wurden vom System für die Prognose herangezogen?“ stehen hier im Fokus. Dagegen sei die sogenannte Verifizierung noch der „Heilige Gral“ der Wissenschaft. Dahinter steht die Frage, wie sich sicherstellen lässt, dass ein lernendes System, egal zu welchem Ergebnis es kommt und welche Handlung es vornimmt, nichts „Dummes“ tut.

Selbstlernende Systeme befinden sich noch im Prototypstadium. Nach Veiths Erfahrung braucht es unbedingt Vorreiter, die die Lösung auch ins Feld bringen. „Das ist im Moment der Flaschenhals“, so Veith. Wenn ein KI-Lösung diesen Flaschenhals einmal passiert hat, dann sei eine der größten Hürden für die Verbreitung im Markt genommen.

Gerade Verteilnetzbetreiber, denen KI-Anwendungen im täglichen Netzbetrieb sehr helfen können, seien derzeit bis auf wenige Ausnahmen aber noch zurückhaltend, was die Adaptierung der neuen Technologie betrifft. Sie warten in der Regel auf den Proof of Concept. Bisher seien vor allem Lösungen zur Fehler- und Schadenserkennung an der Infrastruktur oder Prognosemodelle im Einsatz.

Das langfristige Ziel des KI-Einsatzes im Netzbereich bleibe jedoch der autonome Betrieb der kritischen Infrastruktur. Dafür will die Oldenburger Forschungsgruppe einen interdisziplinären Ansatz entwickeln. Ein entsprechendes vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt mit der Bezeichnung „Adversarial Resilience Learning“ wurde im Herbst 2022 gestartet und läuft insgesamt drei Jahre.

Wie der Titel sagt, sollen die Netze auch widerstandsfähig gegen unvorhergesehene Ereignisse wie Cyberangriffe gemacht werden. Schon zu Beginn der Projektphase hat Veith darauf hingewiesen, dass die Grenzen für Fehler, die ein lernendes System machen darf, beim Betrieb einer kritischen Infrastruktur sehr eng gesetzt sind. Der sichere Betrieb dürfe nicht zur Disposition stehen. Die hier noch bestehende Forschungslücke will das Team um den Oldenburger Informatiker mit dem Entwurf einer hybriden Architektur schließen.

Diese besteht aus einem KI-basierten System, das sich selbst weiterentwickelt, dessen Ergebnisse nachvollziehbar sind und in das zweite System einfließen. Das zweite System soll auf Regeln für den Betrieb von kritischen Infrastrukturen basieren.

Dass der Weg zu einer Lösung praktischer Probleme steinig sein kann, obwohl viel und intensiv an und mit künstlicher Intelligenz geforscht wird, hat Veith auch schon erleben müssen. Der Übergabepunkt zwischen Mittel- und Niederspannung sei ein solcher Problemfall. Wenn ein Netzbetreiber hier Werte für Wirk- und Blindleistung vorgibt, sei noch lange nicht geklärt, wie diese Werte fair verteilt werden.

„Welche Werte muss man überhaupt vorgeben? Was ist fair? Sind die thermischen Grenzen der Leitungen in Gefahr?“ − Fragen, auf die der Informatiker hinweist und die mithilfe von KI beantwortet werden können. „Das ist aber alles andere als trivial“, so Veith. Und er fügt hinzu: „Das ist ein Weg der kleinen Schritte, auf den wir uns in der Forschung begeben müssen.“

Begünstigt wird die Forschung auf jeden Fall von der Tatsache, dass KI als Open Source entwickelt wird. „Alles ist quelloffen und frei im Internet verfügbar“, bestätigt der Wissenschaftler. Davon profitieren auch die IT-Anbieter, die KI-Modelle in ihre Produkte integrieren können, ohne dass sie kommerzielle Lizenzen erwerben müssen.
 

Fritz Wilhelm
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