
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
RechtEck: Koalieren ohne Prozessieren
Alle vier Jahre (Ausnahmen bestätigen die Regel) rückt das Konzept des Koalitionsvertrags in den Blick der Öffentlichkeit. Was das ist, erläutern Ines Zenke und Christian Dessau*.
„Normale“ Menschen würden sagen, dass die meisten Verträge in Deutschland viel zu lang und zu kompliziert sind. Vergleicht
man aber deutsche Verträge mit angelsächsischen, merkt man, wie knapp sie in Wahrheit gehalten sind. Möglich macht das unser
Bürgerliches Gesetzbuch, das BGB, das sehr viele Regeln vorgibt, sodass sie die Vertragsparteien nicht neu erfinden und hinschreiben
müssen. Das reicht vom Begriff des Vertrags über Schadensersatz bis hin zur Kündigung.
Nur mal so als Beispiel: Wenn sich drei Bekannte zusammenschließen, um gemeinsam auf ein altes Weingut zu bieten, es dann zu restaurieren, guten Wein zu machen und damit eine auskömmliche Rente zu sichern, dann haben sie einen Vertrag miteinander. Und wenn es Streit gibt, nicht mehr am gleichen Strang gezogen wird und am Ende einer aussteigt oder rausgeworfen wird − dann sieht man sich vor Gericht wieder.
Schließen sich drei Parteien zusammen, um gemeinsam die Bundesrepublik Deutschland zu regieren, eine neue politische Agenda zu etablieren und damit bei den Wählerinnen und Wählern noch beliebter zu werden, dann schließen sie auch einen Vertrag miteinander, den Koalitionsvertrag. Aber wenn es dann Streit gibt, eine Partei mit der Ausrichtung nicht mehr zufrieden ist und es am Ende nur an der Zeit liegt, ob die Partei ausscheidet oder rausgeschmissen wird − dann gibt es kein Gericht (nicht mal das Bundesverfassungsgericht!), das klärt, wer Schuld hatte, keinen Schadensersatz, nur die Stimme der Wählerinnen und Wähler bei der nächsten Wahl.
Ist das fiktive Weingut also wichtiger und schützenswerter als die Bundesrepublik? Vermutlich doch nicht. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man sich die Rechtsnatur eines Koalitionsvertrags genauer anschaut: Es handelt sich um eine Vereinbarung zwischen politischen Parteien, innerhalb einer Wahlperiode nach vielleicht geteilten, mindestens aber abgestimmten Grundsätzen Politik zu betreiben. Formal können die Parteien gar nichts umsetzen.
Erst wenn ihre Mitglieder zu Mitgliedern der Bundesregierung werden, wenn die Fraktionen im Parlament für Gesetzesvorlagen stimmen oder die Landesvertreter im Bundesrat abstimmen, wird die Politik greifbar. Aber in der Praxis hat diese Vereinbarung zwischen den Parteien dann noch große Bedeutung: Die Fraktionen wählen den vereinbarten Bundeskanzler, die Regierung und die Ausschüsse werden so besetzt, wie man sich geeinigt hat. Und natürlich werden die Ministerien dem Koalitionsvertrag entsprechende Entwürfe erarbeiten und dem Kabinett vorlegen.
Und trotz aller faktischen Macht bleibt es dabei, dass die Parteien sich nur politisch koordiniert haben. Ihnen fehlt es nämlich an etwas, das die drei Bekannten im Weingut-Beispiel hatten: Rechtsbindungswille. Vertragsparteien unterwerfen sich dem Recht, weil ihr Vertrag ansonsten kaum Bedeutung hätte. Nur so können sie auf die juristische Infrastruktur zurückgreifen, können Gerichte anrufen und Gerichtsvollzieher schicken.
Was bliebe außerdem? Kräftige Herren in dunklen Anzügen als Inkassodienstleister schicken? Oder „naming & shaming“, indem man der interessierten Öffentlichkeit mitteilt, dass sich die andere Vertragspartei nicht an ihre Abmachung gehalten hat? Schwierig, denn selbst das Internet bietet nicht die Informationsplattform, um viele Leute zu informieren − und wenn man sich die Anzahl schlechter Bewertungen anschaut, ist auch klar, dass das nicht zwingend negative Wirkung haben muss.
Bei politischen Parteien ist das anders. Denn der öffentliche Diskursraum ist ihr Habitat. Die Kommunikation ihrer Ideen, aber auch ihrer Werte und allgemein ihres Images ist die Grundlage ihrer Wahlerfolge − und die sind wiederum Grundlage für Macht und finanzielle Ausstattung. Dass hier „naming & shaming“ Auswirkung haben kann, hat die letzte Koalition gezeigt.
Der öffentliche Diskurs übernimmt also die Funktion der Verhaltensregelung und des Schutzes der anderen Parteien. Einer Rechtsbindung bedarf es nicht. Und so muss auch kein Gericht überfordert damit werden, politische Absichtserklärungen gegen die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Realpolitik abzugleichen. Eine Gerichtszuständigkeit dafür gibt es ohnehin nicht.
* Ines Zenke und Christian Dessau, Rechtsanwälte, Becker Büttner Held (BBH)
Nur mal so als Beispiel: Wenn sich drei Bekannte zusammenschließen, um gemeinsam auf ein altes Weingut zu bieten, es dann zu restaurieren, guten Wein zu machen und damit eine auskömmliche Rente zu sichern, dann haben sie einen Vertrag miteinander. Und wenn es Streit gibt, nicht mehr am gleichen Strang gezogen wird und am Ende einer aussteigt oder rausgeworfen wird − dann sieht man sich vor Gericht wieder.
Schließen sich drei Parteien zusammen, um gemeinsam die Bundesrepublik Deutschland zu regieren, eine neue politische Agenda zu etablieren und damit bei den Wählerinnen und Wählern noch beliebter zu werden, dann schließen sie auch einen Vertrag miteinander, den Koalitionsvertrag. Aber wenn es dann Streit gibt, eine Partei mit der Ausrichtung nicht mehr zufrieden ist und es am Ende nur an der Zeit liegt, ob die Partei ausscheidet oder rausgeschmissen wird − dann gibt es kein Gericht (nicht mal das Bundesverfassungsgericht!), das klärt, wer Schuld hatte, keinen Schadensersatz, nur die Stimme der Wählerinnen und Wähler bei der nächsten Wahl.
Ist das fiktive Weingut also wichtiger und schützenswerter als die Bundesrepublik? Vermutlich doch nicht. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man sich die Rechtsnatur eines Koalitionsvertrags genauer anschaut: Es handelt sich um eine Vereinbarung zwischen politischen Parteien, innerhalb einer Wahlperiode nach vielleicht geteilten, mindestens aber abgestimmten Grundsätzen Politik zu betreiben. Formal können die Parteien gar nichts umsetzen.
Erst wenn ihre Mitglieder zu Mitgliedern der Bundesregierung werden, wenn die Fraktionen im Parlament für Gesetzesvorlagen stimmen oder die Landesvertreter im Bundesrat abstimmen, wird die Politik greifbar. Aber in der Praxis hat diese Vereinbarung zwischen den Parteien dann noch große Bedeutung: Die Fraktionen wählen den vereinbarten Bundeskanzler, die Regierung und die Ausschüsse werden so besetzt, wie man sich geeinigt hat. Und natürlich werden die Ministerien dem Koalitionsvertrag entsprechende Entwürfe erarbeiten und dem Kabinett vorlegen.
Und trotz aller faktischen Macht bleibt es dabei, dass die Parteien sich nur politisch koordiniert haben. Ihnen fehlt es nämlich an etwas, das die drei Bekannten im Weingut-Beispiel hatten: Rechtsbindungswille. Vertragsparteien unterwerfen sich dem Recht, weil ihr Vertrag ansonsten kaum Bedeutung hätte. Nur so können sie auf die juristische Infrastruktur zurückgreifen, können Gerichte anrufen und Gerichtsvollzieher schicken.
Was bliebe außerdem? Kräftige Herren in dunklen Anzügen als Inkassodienstleister schicken? Oder „naming & shaming“, indem man der interessierten Öffentlichkeit mitteilt, dass sich die andere Vertragspartei nicht an ihre Abmachung gehalten hat? Schwierig, denn selbst das Internet bietet nicht die Informationsplattform, um viele Leute zu informieren − und wenn man sich die Anzahl schlechter Bewertungen anschaut, ist auch klar, dass das nicht zwingend negative Wirkung haben muss.
Bei politischen Parteien ist das anders. Denn der öffentliche Diskursraum ist ihr Habitat. Die Kommunikation ihrer Ideen, aber auch ihrer Werte und allgemein ihres Images ist die Grundlage ihrer Wahlerfolge − und die sind wiederum Grundlage für Macht und finanzielle Ausstattung. Dass hier „naming & shaming“ Auswirkung haben kann, hat die letzte Koalition gezeigt.
Der öffentliche Diskurs übernimmt also die Funktion der Verhaltensregelung und des Schutzes der anderen Parteien. Einer Rechtsbindung bedarf es nicht. Und so muss auch kein Gericht überfordert damit werden, politische Absichtserklärungen gegen die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Realpolitik abzugleichen. Eine Gerichtszuständigkeit dafür gibt es ohnehin nicht.
* Ines Zenke und Christian Dessau, Rechtsanwälte, Becker Büttner Held (BBH)
Redaktion
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Freitag, 16.05.2025, 09:35 Uhr
Freitag, 16.05.2025, 09:35 Uhr
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