
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Nordbayern auf der Jagd nach weißem Wasserstoff
Wissenschaftler sind in Nordbayern auf natürlichen Wasserstoff gestoßen. Die Vorkommen sind derart vielversprechend, dass auch schon die Vorbereitungen zur Nutzung anlaufen.

Forschende des Geozentrums Nordbayern und des Fraunhofer IEG Aachen suchen in Nordbayern nach natürlichem Wasserstoff. V.l.:
Peter Achtziger-Zupancic, Akib Ahmed, Jürgen Grötsch, Daniel Fillers und Felix Gsell
Quelle: Steinbauer-Grötsch
Quelle: Steinbauer-Grötsch
Dass es natürliche Wasserstoffvorkommen gibt, weiß man in Deutschland seit 1910. In einem Salzbergwerk in Sachsen-Anhalt war er entdeckt worden. Aber nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs interessierte sich niemand mehr dafür. Öl und Gas rückten in den Fokus. Der Wasserstoff meldete sich erst im Jahr 1987 wieder zurück − aus Afrika, und das mit ziemlichem Getöse.
Bei einer Brunnenbohrung in Mali stießen Arbeiter zwar nach 108 Metern immer noch nicht auf Wasser, dafür aber auf ein ungewöhnliches Phänomen: Wind kam aus dem Bohrloch. Neugierig beugte sich einer darüber − leider mit einer Zigarette im Mund. Alles explodierte, Flammen schossen in den Himmel. Die Brunnenbohrer waren nicht auf Wasser, sondern auf ein natürliches Wasserstoffvorkommen gestoßen − auf sogenannten weißen Wasserstoff. Der Arbeiter soll Verbrennungen erlitten, aber überlebt haben.
Aber zurück nach Deutschland, wo das „GeoZentrum“ Nordbayern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zum Thema forscht und erstaunliche Entdeckungen gemacht hat. „Das Rennen um die Suche nach dem wertvollen Gas im Untergrund kommt in Gang, und das GeoZentrum Nordbayern der FAU liegt mit an der Spitze“, heißt es da auf der Internetseite des Instituts selbstbewusst. Gegenüber E&M formuliert man auch schon, wo es einmal hingehen soll: Projekte, die den weißen Wasserstoff in Kombination mit Erdwärme erschließen, zusammen mit kommunalen Partnern wie etwa Stadtwerken.
Zunächst gab es Zweifel an den Messergebnissen
Erste Messwerte bei natürlichem Wasserstoff in Nordbayern seien derart erfolgversprechend, dass sie das Energiesystem der Zukunft revolutionieren könnten. Von einer kleinen Sensation ist gar die Rede. Geliefert hatten sie Studenten im Masterstudiengang Geothermie/Geoenergie: Felix Gsell und Julius Liebermann. Anhand von Bodenluftmessungen haben sie untersucht, ob in vorab ausgewählten Gebieten Wasserstoffvorkommen existieren.
Im August 2024 führten ihre Arbeiten zu einem Ergebnis, das die beiden erst nicht glauben konnten: 1.000 Parts per Million (ppm) Wasserstoff maßen sie im Bereich der Haßberge in Unterfranken − ein Wert an der oberen Grenze des Sensors. Und ein Wert, der bisher in der Fachliteratur noch nicht dokumentiert ist. Eine kleine Sensation also. Und: Die Messungen liefern seither – neben wenig oder keinem Wasserstoff − auch immer wieder derart hohe Werte.
Projektleiter Jürgen Grötsch, Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Geologie, erklärte dazu: „Die hohen Werte an Wasserstoff bestätigen uns in der Annahme, dass es kommerziell nutzbare Vorkommen von natürlichem Wasserstoff in Nordbayern gibt.“
Grötsch ist davon überzeugt, dass natürlicher Wasserstoff ein wichtiger Baustein im künftigen Energiesystem werden kann: „Es gibt genügend Hinweise, dass in vielen Regionen in Deutschland, aber auch weltweit Vorkommen von Wasserstoff schlummern, die saubere Energie liefern können.“ Neben den Haßbergen scheinen Gebiete der Oberpfalz und Teile Niederbayerns interessant zu sein. Auch im Oberrheingraben haben Forscher des Fraunhofer IEG erfolgversprechende Entdeckungen gemacht.
Erschließung im Doppelpack mit Geothermie
Und wie kann man sich die Nutzung des natürlichen Wasserstoffs in der Praxis vorstellen? Auch dazu gibt es an der FAU konkrete Vorstellungen, die sich schon aus dem Geothermie-Doppelpack ergeben. Mit Stadtwerken etwa will man zusammenarbeiten. Die könnten die Erdwärme in ihre Fern- und Nahwärmenetze einspeisen, über die dann private Haushalte, Industrieanlagen und öffentliche Gebäude versorgt werden. Mit dem Wasserstoff ließen sich Strom und weitere Wärme erzeugen, er könnte für Wasserstoffbusse im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt werden oder für Wasserstoff-Lkw und -züge. Der Verbrauch vor Ort hätte den Vorteil, dass der Transportbedarf minimiert wird − bei Wasserstoff ein schwieriges Thema.

Von schwarz bis weiß: die Farben des Wasserstoffs
Quelle: Wien Energie
Quelle: Wien Energie
Um solche Vorhaben in die Praxis umzusetzen und den Wasserstoff, von dem in Nordbayern große Mengen vermutet werden, aus dem Boden zu holen, wurde aktuell das FAU-Start-up Tellus Energy Solutions gegründet. Es soll die Projektentwicklung in die Hand nehmen und mit Kommunen und regionalen Versorgern zusammenarbeiten.
Fünf Jahre, wenn alles gut läuft
Und bis wann wäre es so weit mit der Gewinnung und Nutzung von weißem Wasserstoff in Nordbayern? Grötsch meint, eine Pilotanlage könnte unter günstigsten Bedingungen in vielleicht fünf Jahren verfügbar sein. Gerade mit Blick auf die Wärmewende könnten solche Projekte den Kommunen bei der CO2-freien Versorgung helfen und die Abhängigkeit von ausländischen Energielieferungen verringern.
Eine Produktionsanlage würde in der Praxis mit Geothermietechnik kombiniert, hinzu kämen, etwa in Containern untergebracht, Vorrichtungen zur Abscheidung und Speicherung von Wasserstoff. Dazu hat Tellus das Pilotprojekt „Kairos“ gestartet, das drei Phasen von der schon laufenden Standorterkundung über eine Standortentscheidung bis hin zu geothermischen Bohrungen und Wasserstoff- und Wärmeproduktion vorsieht. Bei den Kosten ist von einem zweistelligen Millionenbetrag die Rede.

Mit Hammer und Sonde im Einsatz: Felix Gsell (r.) und Julius Liebermann
bei Messarbeiten im Feld
Quelle: Steinbauer-Grötsch
bei Messarbeiten im Feld
Quelle: Steinbauer-Grötsch

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Dienstag, 12.08.2025, 09:10 Uhr
Dienstag, 12.08.2025, 09:10 Uhr
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