
(dpa) – Die bisher nicht zertifizierte Gaspipeline Nord Stream 2 ist nach Angaben des russischen Energieriesen Gazprom startklar. Der zweite Strang sei vollständig mit technischem Gas befüllt, sagte Konzernchef Alexej Miller der Agentur
Interfax zufolge. Das Verfahren sei am 29. Dezember um die Mittagszeit abgeschlossen worden.
„Diese neue Leitung wird sicher dazu beitragen, die Preise auf dem europäischen Markt zu stabilisieren“, sagte Präsident Wladimir
Putin mit Blick auf hohe Gaspreise. Sobald Deutschland den Betrieb freigebe, werde mehr Gas nach Europa fließen − und das
senke die Preise auf dem europäischen Spotmarkt.
Gaslieferungen für den russischen Markt hätten zwar Vorrang, meinte Putin. „Russland hat aber die Möglichkeit, seine Gasexporte
zu steigern.“ Die Gasspeicher in Europa sind Miller zufolge zu 44 Prozent gefüllt, in Deutschland zu 47 Prozent. Gazprom pumpt
seit Tagen kein Gas mehr durch die russisch-europäische Leitung Jamal.
Aktuell diskutiert die Politik in Deutschland über Nord Stream 2 im Zusammenhang mit einem möglichen Angriff Russlands auf
die Ukraine. Im Westen sorgt der russische Truppenaufmarsch in der Grenzregion für massive Beunruhigung. Zehntausende Soldaten sind dort wohl zusammengezogen worden. Putin hatte sich zwar zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts bereiterklärt, aber gleichzeitig Sicherheitsgarantien für
Russland gefordert. Dazu zählte er ein Ende der Nato-Osterweiterung, und damit auch einen Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft
der Ukraine.
Die Bundesregierung bemüht sich unterdessen weiterhin um Gespräche mit Russland, der Ukraine und Frankreich im sogenannten
Normandie-Format, wie Außenministerin Annalena Baerbock sagte. Sie bekräftigte aber auch, dass eine weitere militärische Eskalation
an der ukrainischen Grenze und vor allen Dingen der Bruch des Völkerrechts und die Verletzung der Souveränität der Ukraine
massive politische und wirtschaftliche Folgen für Russland hätte. Es gebe da „eine lange Liste“ von Handlungsmöglichkeiten.
Baerbock sprach Maßnahmen gegen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zwar nicht direkt an, betonte aber, dass das Projekt
eine „geostrategische Rolle“ spiele. Daher habe sich bereits die alte Bundesregierung von Union und SPD dazu bekannt, dass
die Gas-Leitung auch Sicherheitsfragen aufwerfe.
Russland warnt vor „künstlicher Verzögerung“
Russland dringt allerdings auf eine zügige Entscheidung. „Eine künstliche Verzögerung der Inbetriebnahme der Pipeline braucht
wohl niemand“, betonte der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, gegenüber der Deutschen Presseagentur. Russland sei bereit, sofort Gas durch die beiden Röhren zu liefern. Von der neuen Bundesregierung erwarte er, dass sie „pragmatisch
und zum Nutzen der Verbraucher“ mit dem Projekt umgeht.
Der designierte Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sieht Nord Stream 2 eindeutig als mögliches Sanktionsinstrument
gegen Russland. Putin sehe die USA und Europa durch die Regierungswechsel und wegen des unrühmlichen Endes des Afghanistan-Einsatzes
als geschwächt an und suche nach einem Anlass, in die Ukraine einzumarschieren, meinte der frühere deutsche UN-Botschafter.
In diesem Fall müssten Sanktionen auch Nord Stream 2 sowie den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem
Swift umfassen.
„Eine weiche Reaktion würde Putin als Schwäche interpretieren und seine Expansionsgelüste nur stimulieren“, sagte Heusgen,
der viele Jahre die außenpolitische Abteilung im Kanzleramt geleitet hat. Putin strebe die Wiederherstellung eines russischen Reiches an, das an die Sowjetunion erinnert.
Nord Stream 2 soll unter Umgehung der Ukraine Gas von Russland nach Deutschland bringen. Die Ostsee-Pipeline wurde bereits
vor Wochen fertiggestellt, ist aber noch nicht in Betrieb. Die Entscheidung trifft die Bundesnetzagentur. Wie deren Präsident
Jochen Homann kürzlich gesagt hat, werde die aber nicht mehr im ersten Halbjahr 2022 fallen. Danach steht auch noch eine Überprüfung
der EU-Kommission an.
Mittwoch, 29.12.2021, 11:46 Uhr