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Enerige & Management > Sonderteil: Stark Im Wind - Holz gegen die Achillesferse des Windrades
Quelle: E&M
SONDERTEIL: STARK IM WIND:
Holz gegen die Achillesferse des Windrades
Eine alte Windkraftanlage in Nordhessen verliert einen Flügel nach dem anderen. Kontrolliert, kein Unfall. Die nicht wiederverwendbaren Rotorblätter machen Platz − für Holz.
 
Seit 1997 verrichtet ein Pionier der Energiewende seinen Dienst im Landkreis Kassel. Die kleine Windenergieanlage verfügt über eine beschauliche Leistung von weniger als 1 MW, die sie über lediglich 19,3 Meter lange Rotorblätter abruft.
Im Mai 2024 wird die Uraltanlage überraschend zum Sinnbild für die Zukunft der Windkraft. Denn an die Stelle der bisherigen Rotorblätter aus Kunststoffen montieren Ingenieure brandneue Flügel − aus Holz. Drei Prototypen aus dem Hause Voodin Blade Technology GmbH feiern ihre Premiere.

Die junge Firma aus Lichtenfels im selben Kreis erprobt in Breuna-Wettesingen ihre Idee, mit der sie die Windkrafttechnik revolutionieren möchte. Wie der Name des 2021 gegründeten Start-ups andeutet, befindet sich „wood in blade“, also Holz im Blatt − genauer: zu Furnierschichtholz verarbeitete Fichte (Laminated Veneer Lumber, LVL).

Traditionell geben glasfaser- oder carbonfaserverstärkte Kunstharze (Epoxid oder Polyesterharze) den Bauteilen Form, Stabilität und Elastizität. GFK und CFK finden sich auch in der Luft- und Raumfahrt ebenso wie im Bootsbau. Ihre Achillesferse ist die noch löchrige Wiederverwertungskette. „Rotoren werden oft vergraben oder verbrannt“, sagt Tom Siekmann, Geschäftsführer von Voodin Blade. Initialzündung für seine Geschäftsidee sei es entsprechend gewesen, Nachhaltigkeit und Recycling von Rotoren zu verbessern.

Das Unternehmen stellt die CO2-Bilanz groß heraus: Holzblätter verursachten insgesamt 78 Prozent weniger Treibhausgase. Die bislang weitgehend unbeglichene ökologische Rechnung der traditionellen Flügel kennt auch das Umweltbundesamt (UBA). Rotorblätter ließen sich nach dem Rückbau zumeist nicht wiederverwenden. Dann müsse ein Recycling erfolgen, heißt es in einer 2022 veröffentlichten Studie zur Aufbereitung von Blättern.

Allerdings landeten GFK-Abfälle in der Praxis bislang entweder als zusätzlicher Brennstoff in Zementwerken oder in der Müllverbrennung. Ihr Deponieren sei aufgrund des hohen Anteils organischer Stoffe ausgeschlossen. Bauteile mit Carbonfasern ließen sich nicht einmal verbrennen: Durch ihre elektrische Leitfähigkeit entstehe im thermischen Prozess ein Sicherheitsrisiko.

Die Forschenden regen an, die nötige Infrastruktur für das Rückgewinnen der Stoffe aufzubauen. Schließlich hätten die Recyclingprozesse sich „noch nicht durchgesetzt“. Für das Rückgewinnen von Carbonfaser gab es 2022 erst eine einzige Pyrolyseanlage mit einer jährlichen Kapazität von etwa 1.500 Tonnen.

Dadurch steht die Branche vor einem wachsenden Problem. Bis 2040 rechnet das UBA bundesweit mit mindestens 326.000 Tonnen Rotorblatt aus reinen GFK, die Abfall wurden. Es könnten auch 100.000 Tonnen mehr werden. Die CFK-Menge ist etwas geringer, weil Carbon − immer in Kombination mit GFK − vor allem in Stabilisierungsgurten für die erst allmählich verbauten großen Flügel zum Einsatz kommt. Bei dieser Mischung liegt der zusätzliche Müllberg bis 2040 bei 77.000 bis 212.000 Tonnen.

Wenn Tom Siekmann einen Vorteil von Holzrotoren anspricht, spitzt er bewusst zu: „Wir könnten unsere Blätter nach ihrem Einsatz auch aussortieren und vergraben. Dann würden wir aber wertvolle Erde produzieren, weil sie biologisch abbaubar sind.“ Ohnehin hätten Holzblätter eine Chance auf ein zweites Leben in der Baubranche: die belastbaren Komponenten als Träger für Hallen oder das Restmaterial in Sperrholzplatten. Die Rotoren belasteten die Umwelt über Jahrhunderte weder mit mit Mikrofasern noch mit Mikroplastik.

Aber auch Holzflügel sind nicht durchweg umweltfreundlich. Voodin Blade verwende derzeit noch traditionelle Beschichtungen (aus Kunstharzen) und Leime, sagt Tom Siekmann, arbeite allerdings auch da an schonenden Materialien. „Die Aerodynamik ist bei Holz weniger die Herausforderung, wir benötigen vielmehr eine optimale Beschichtung, weil Holz anfällig für Wasser und Feuchtigkeit ist.“ Insgesamt wollen die Hessen mit dem Experiment in Breuna den Nachweis der Serienreife von Holzrotorblättern erbringen. Dafür sind die drei Flügel mit allerlei Sensoren ausgestattet.
 
Gussformen überflüssig: Mithilfe einer CNC-Fräse entsteht in Kiel einer der Holzrotorprototypen von Voodin Blade
Quelle: Voodin Blade / Oliver Maier
 
Der Voodin-Blade-Geschäftsführer zählt Vorteile von Holz auf: Es sei bei entsprechendem Schutz langlebiger als Carbon oder Glasfaser. Auch dämpfe es die auf die Anlage wirkenden Kräfte besser und führe so zu geringerem Verschleiß an den anderen Bauteilen. Dies sei allerdings noch eine Annahme. Der Breuna-Feldtest soll sie prüfen. „Wir sind überzeugt, dass Holzblätter die Laufzeit von Anlagen verlängern“, so Tom Siekmann. In Breuna gehe es ferner um den Nachweis, dass der Energieertrag gleich hoch sei wie der konventioneller Rotorblätter.

Waldkonzern steht in den Startlöchern

Voodin Blade arbeitet mit der Burg Lichtenfels GmbH & Co. KG zusammen, einem Projektierer mit etwa 300 MW in Betrieb und Planung. Ein weiterer Partner in Nordhessen ist ein bedeutender Waldbesitzer und Papierfabrikant: der finnisch-schwedische Großkonzern Stora Enso. Das Unternehmen spricht auf Anfrage von E&M davon, sich aktuell in Deutschland verstärkt nach Industriepartnern für den Hochlauf von Holztürmen in der Windenergie umzusehen.

In Schweden ist Stora Enso Lieferant für die bei Göteborg errichtete Anlage des Unternehmens Modvion, deren Holzturm 105 Meter in die Höhe ragt. Aaron Pasternack von der Abteilung „Wood Products“ sieht hölzerne Rotoren als weiteren Schritt zu nachhaltigeren und effizienten Anlagen. In Relation zum Gewicht sei Fichtenfurnier doppelt so stark wie Stahl und habe mindestens so gute Eigenschaften wie GFK.

Neben den Vorteilen beim Recycling und der „robusten Performance spart Holz schon beim Konstruktionsprozess Zeit und Geld“, so Aaron Pasternack zu E&M. Tom Siekmann sekundiert: Für die Blattproduktion seien keine Formen mehr erforderlich. „Holzrotoren entstehen höchst automatisiert mit CNC-Fräsen“, sagt der Voodin-Blade-Chef. „Die günstigere Herstellung ist bei dem bestehenden Preisdruck im Wettbewerb ein Riesenvorteil für die Branche.“ Voodin Blade wirbt mit Preisunterschieden von bis zu 20 Prozent.

Aaron Pasternack von Stora Enso geht davon aus, dass Holztürme in den kommenden zehn bis 15 Jahren einen Teil des Marktes erobern können. Voodin Blade hat es mit seinem Produkt eiliger. Die Erfahrung aus Breuna sollen möglichst schon 2027 kommerziell nutzbar sein. „Ich hoffe, dass wir bis dahin eine Produktionslinie aufbauen können“, sagt Tom Siekmann. Die Prototypen entstanden noch in Kiel. In Serie fertigen will Voodin Blade in Spanien. „Unser Geschäftsziel ist es, die Blätter an die existierenden Plattformen anzupassen“, sagt der Voodin-Blade-Chef.

Mit dem 19-Meter-Rotorblatt allein würde das Start-up in der Nische des Ersatzteillieferanten für die Dinosaurier der Windkraft versauern. Stattdessen hat es einen Blattsatz für eine 6-MW-Turbine vor dem geistigen Auge. Rotorblätter sind da leicht 70 Meter lang. Voodin Blade strebt Prototypenbau und Tests noch für 2025 an. Tom Siekmann klopft dreimal auf Holz.

Mikroabrieb offshore und onshore

Das Helmholtz-Zentrum Hereon und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erforschen, wie stark Schiffe und Offshore-Windkraftanlagen die Meere mit Partikeln belasten. Mit einer neu entwickelten Methode untersuchen sie Seewasser und Sedimente nach gelösten Beschichtungen und Anstrichen − sogenannten Coatings. Eingebettet ist die Untersuchung in das bis Ende 2026 laufende europäische Projekt „Anemoi“.
An Land gab es zumindest bis 2020 laut Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) kaum Erkenntnisse über den Mikroplastikeintrag von Rotorblättern. In Bremerhaven simuliert das IWES, wie Regen, Wind, UV-Strahlung und Temperaturschwankungen den Windenergieanlagen zusetzen. Selbst unter der pessimistischen Annahme, dass nach vier Jahren das Coating komplett erodiere, würde sich der Abrieb der 31.000 Onshore-Windkraftanlagen bundesweit auf 1.400 Tonnen Mikropartikel im Jahr summieren. Der tatsächliche Wert liege „mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich darunter“, so das IWES.
Und damit auch weit unter dem Abrieb von Alltagsgegenständen: Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) hat einmal ermittelt, dass Schuhsohlen 9.047 Tonnen Mikroplastik pro Jahr in die Umgebung abgeben. Und Autoreifen 102.090 Tonnen.
 
Im hessischen Breuna erfolgt die erste Montage eines Holzrotorblatts an eine Windenergieanlage
Quelle: Voodin Blade
 
 
 

Volker Stephan
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Montag, 23.09.2024, 08:16 Uhr

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