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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Hochlauf braucht noch jede Menge Anlauf
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN ZEITUNG:
Hochlauf braucht noch jede Menge Anlauf
Wasserstoff soll die Industrie und Teile der Mobilität dekarbonisieren. Bisher ist noch nicht viel passiert. Einzelne Leuchtturmprojekte gibt es jedoch.
 
Bis 2030 plant Deutschland die Installation von rund 20.000 MW Elektrolyseleistung, so eine Analyse der BBH Consulting Group mit Verweis auf Daten der International Energy Agency. Allerdings sind bisher nur etwa 630 MW tatsächlich beschlossen. Und: Die Nationale Wasserstoffstrategie ist wesentlich verhaltener. 2030 sollen es nur 10.000 MW sein, 2045 dann 80.000 bis 100.000 MW.

Die meisten Projekte sind für den Eigenverbrauch von Großindustrien wie Stahlwerken vorgesehen. Ohne geeignete Fördermaßnahmen bleibt hingegen die Einbindung von Wasserstoff in kleine und mittlere Unternehmen und den Verkehrssektor schwierig. Dies könnte die Transformation ganzer Sektoren verzögern und zu höheren Energiekosten sowie Emissionsgebühren führen.

Unsicherheit bei Verteilnetzen

Dennoch will die Regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten Druck machen. Dazu soll das im Mai 2024 verabschiedete Wasserstoffbeschleunigungsgesetz dienen. Ein 9.700 Kilometer langes Wasserstoffnetz ist geplant, gut 40 Prozent davon als Neubau, der große Rest als Ertüchtigung vorhandener Fernleitungsnetze. Die Kosten betragen laut der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas 19,8 Milliarden Euro.

Doch was für das Kernnetz gilt, gilt nicht für große Teile der Verteilnetze. Denn der Übergang zu klimaneutralen Energien macht viele Gasverteilnetze künftig überflüssig. Ein Green Paper des Bundeswirtschaftsministeriums hat die Diskussion um die Stilllegung dieser Netze angestoßen. Der Grund ist einfach: Betrieb und Instandhaltung der Gasnetze werden von immer weniger Gaskunden finanziert, was die Netzentgelte in die Höhe treibt. Kommunen, die auf Wasserstoff im Gasnetz setzen, riskieren nach Meinung von Wissenschaftlern wie denen vom Umweltinstitut München unnötige Kosten für ihre Bürger. 
 
Die Verteilnetze sind für Wasserstoff geeignet, allerdings werden sie kaum im derzeitigen Umfang Bestand haben
Quelle: Frank Urbansky

Zudem sind gerade die eventuell überflüssig werdenden Verteilnetze aus Polyethylen mit niedrigem Druck gut für den Wasserstofftransport geeignet, da sie die Diffusion von Wasserstoff hemmen. Fernleitungsnetze aus Stahl mit höherem Druck wurden zwar vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) als H2-tauglich deklariert, aber umfangreiche Praxistests fehlen noch.

Grüner Wasserstoff zu teuer

Wasserstoff muss zudem umweltfreundlich produziert werden. Derzeit werden 98 Prozent des Wasserstoffs durch Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen. Wasserstoff aus Elektrolyse, betrieben mit grünem Strom, ist deutlich teuer. An der Leipziger Energiebörse EEX ist der Preis für Elektrolysewasserstoff dreimal so hoch wie für Wasserstoff aus Dampfreformierung.

Das schreckt Investoren ab. Die Raffinerie Heide in Schleswig-Holstein stoppte den Bau eines 30-MW-Elektrolyseurs wegen zu hoher Kosten auch des Endprodukts, für das sich zudem kein regionaler Markt ergeben habe. Geplant wurde zusammen mit Orsted und Hynamics Deutschland der Bau eines Elektrolyseurs schon vor mehr als drei Jahren. Im Projekt „Reallabor Westküste 100“ sollte eine Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff in Hemmingstedt (Schleswig-Holstein) errichtet werden. Letztlich waren die hohen Baukosten der Hauptgrund für eine Entscheidung dagegen.

Die mangelnde Verfügbarkeit und die hohen Preise haben auch Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen. Ein Beispiel: Feldhaus Klinker in Bad Laer (Niedersachsen) mit 150 Mitarbeitern stellt Klinker und Riemchen her, die deutschlandweit und in über 40 Ländern vertrieben werden. Die Herstellung ist sehr energieintensiv. Der Verbrauch liegt bei 8 Millionen kWh Strom und 80 Millionen kWh Gas pro Jahr. Auf den Werksdächern wurde eine Photovoltaikanlage installiert, die Strom zur Wasserstoffproduktion liefern soll, um das Erdgas teilweise zu ersetzen. Gefallene Gaspreise und gekürzte Fördermittel machen die Errichtung eines Wasserstoffelektrolyseurs jedoch derzeit unwirtschaftlich.

​Projekte vor allem im Norden

Trotz dieser auch wirtschaftlichen Schwierigkeiten gibt es Wasserstoffprojekte im ganzen Land. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) zählt derzeit hierzulande 143, davon mehr als 80 in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die EU-Kommission hat in diesem Jahr 24 deutsche Wasserstoffprojekte im Rahmen der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) genehmigt. Das dürfte die Planung und Finanzierung etwas erleichtern.

Im niedersächsischen Hafen Brake entsteht ein 10-MW-Elektrolyseur, der jährlich bis zu 1.150  Tonnen grünen Wasserstoff produzieren wird. Das Projekt, das Anfang Februar startete, zielt darauf ab, den norddeutschen Markt zu versorgen und die Dekarbonisierung des Hafens und Seeverkehrs zu fördern.
Ein Wasserstoff-Hub im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern bündelt Projekte aus den Bereichen Erzeugung, Transport, Speicherung und Verbrauch. Das Großprojekt „doing Hydrogen“ soll bis 2026 startklar sein und jährlich 207.000 Tonnen Wasserstoff produzieren, was eine CO2-Einsparung von 2,03 Millionen Tonnen bedeutet.

Der Stahlkonzern „ArcelorMittal“ plant in Bremen eine Direktreduktionsanlage zur Erzeugung von grünem Eisenschwamm, der in einem Elektrolichtbogenofen zu Stahl verarbeitet wird. Die Anlage soll bis 2026 in Betrieb gehen und einen Hochofen ersetzen. Ein ähnliches Projekt entsteht am Standort Eisenhüttenstadt.
In der Nähe von Flensburg arbeitet eine Power-to-Gas-Anlage im Regelbetrieb. Überschüssiger Windstrom wird in Wasserstoff umgewandelt und ins Gasnetz eingespeist, um fossiles Erdgas zu ersetzen.

Der H2-Park Bad Lauchstädt ist dagegen ein schon weit fortgeschrittenes Projekt. Im südlichen Sachsen-Anhalt entsteht eine umfangreiche Infrastruktur zur Produktion, Speicherung und Nutzung von grünem Wasserstoff. Federführend sind der Leipziger Gasimporteur VNG und dessen Transporttochter Ontras. Der H2-Park nutzt erneuerbare Energien wie Wind- und Solarstrom, um Wasserstoff durch Elektrolyse herzustellen. Dieser wird in unterirdischen Salzkavernen gespeichert, die bisher für Erdgas genutzt wurden.

Grüner Wasserstoff im Ländle

Auch im Süden Deutschlands gibt es Projekte. Im Herzen Baden-Württembergs startet „Hy-FIVE − Modellregion Grüner Wasserstoff Baden-Württemberg“ mit vier Leuchtturmprojekten. Diese sollen die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zur Nutzung von grünem Wasserstoff abdecken. Beteiligt sind unter anderem die Forschungsallianz Baden-Württemberg (innBW), die zwölf Forschungsinstitute unter sich vereint − etwa das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) und das Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie („fem“). Das Gesamtbudget liegt bei rund 50 Millionen Euro, davon stammen 32 Millionen Euro als Fördermittel vom Land.

Die Deutsche Bahn testet aktuell ein einzigartiges Projekt in Tübingen (Baden-Württemberg): Ein Kraftwerk erzeugt Wasserstoff aus dem Strom der Oberleitung. Etliche Regionalzüge fahren noch mit Diesel, da viele Strecken keine Oberleitungen haben. Das neue Projekt soll diesen Dieselbetrieb ersetzen. In der Nähe des Tübinger Hauptbahnhofs hat die Bahntochter DB Energie GmbH ein Kraftwerk aus Containern aufgebaut, das Wasserstoff aus grünem Strom herstellt. Dies ermöglicht eine dezentrale und schnelle Wasserstoffbetankung der Züge.

Fazit

Es gibt zwar eine Wasserstoffstrategie der Politik, aber die Umsetzung stockt noch, was an fehlenden Fördermitteln, vor allem aber an der noch wenig ausgebauten Infrastruktur und der sehr geringen Wirtschaftlichkeit der geplanten Projekte liegt. Das macht eine flächendeckende Wasserstoffindustrie in Deutschland eher unwahrscheinlich. Sie wird ihre Basis in industriellen Schwerpunkten haben. Darauf deuten auch die aktuellen Projekte hin.
 
Eines der am weitesten fortgeschrittenen Wasserstoffprojekte ist der Wasserstoffpark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt
Quelle: VNG Gasspeicher
 

Frank Urbansky
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Donnerstag, 08.08.2024, 08:46 Uhr

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