
Darauf hat der Dachverband der europäischen Elektrizitätswirtschaft, Eurelectric, in einer Untersuchung hingewiesen. Der Generalsekretär
des Verbandes, Kristian Ruby, sagte auf einer Videokonferenz: „Die Netzentgelte müssen so angepasst werden, dass sie die Nutzung
der Netze in Zukunft besser steuern.“ Ruby mahnte stabilere Rahmenbedingungen für Investitionen in die Netze an: „Weitere
Interventionen in den Markt werden die Energiewende verlangsamen oder gar unmöglich machen.“
Die Netze müssten darauf vorbereitet werden, „große Mengen erneuerbarer Energien, Millionen Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen
und ein anderes Verbraucherverhalten“ zu bewältigen, sagte Ruby weiter. Eurelectric geht davon aus, dass bis 2030 rund 500.000
MW erneuerbare Energien mehr als heute, 45 Millionen Wärmepumpen und 50 bis 70 Millionen Elektroautos am Netz sein werden.
Dafür müssten 400 Mrd. Euro in die Netze investiert werden. Dabei handele es sich in erster Linie um den Ersatz bestehender
Anlagen, zusätzliche Investitionen seien jedoch nötig, um die Netze zu digitalisieren und flexibler zu machen.
Dazu müssten richtig strukturierte Tarife einen wichtigen Beitrag leisten. Sie sollten einen Anreiz für eine effiziente Nutzung
der Netze darstellen und allen Anbietern einen gleichberechtigten Zugang zum Elektrizitätsmarkt geben. Für eine erfolgreiche
Energiewende müssten die Netzentgelte so strukturiert werden, dass die „richtigen Signale für neue Einsatzfelder“ wie die
Selbsterzeugung, die Speicherung oder die Elektromobilität gesendet würden.
Künftige Tarife müssten die Kosten des Netzbetriebs richtig wiedergeben und die Elektrifizierung fördern. Den Anbietern sollte
es deswegen freigestellt sein, die Netzentgelte im Preis weiterzugeben – oder auch nicht. Patentrezepte gibt es nach Ansicht
der meisten Experten nicht. Eurelectric favorisiert deswegen, die Tarifentwicklung genau zu beobachten und die Netzentgelte
in Absprache mit allen Beteiligten anzupassen.
Höhere Tarife für Netznutzung in Spitzenzeiten
Gleichzeitig hat die Stromlobby klare Präferenzen. Kostenorientierte Tarife müssten sich an den Grenzkosten des Netzausbaus
orientieren. Das bedeute, dass die Netzentgelte vor allem an den Kapazitäten ausgerichtet werden müssten. Statische, zeitabhängige
Tarife (ToU) würden die tatsächlichen Kosten der Netzbetreiber zuverlässiger abbilden und ein besseren Preissignal erzeugen
als proportionale Tarife. Rein leistungsbezogene Tarife seien dagegen ein „exzessiver Anreiz zur Eigenproduktion“, weil dadurch
sowohl die Kosten des Strombezugs als auch für das Netz eingespart würden.
Unter ToU-Tarifen versteht Eurelectric Tarife, die Verbraucher, die das Netz zu Spitzenzeiten nutzen, höher belasten als bei
geringer Auslastung. Sie können sich parallel zu den eigentlichen Strompreisen entwickeln, aber auch gegenläufig. Eine Abstimmung
sollte es dagegen zwischen den Verteil- und den Übertragungsnetzbetreibern geben.
Die Zeiten, zu denen die Netzentgelte hoch oder niedrig sind, sollten ebenso bekannt sein wie die jeweils geltenden Tarife.
Sie können dabei sowohl von der bezogenen Leistung als auch von der Kapazität oder beidem abhängig sein. Die Verbraucher,
insbesondere die industriellen sollten dabei in der Lage sein, zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Kapazitäten zu
nutzen. Für Überschreitungen müssten dann Zuschläge gezahlt werden.
Die Tarifstruktur müsse für die Verbraucher transparent und einfach zu verstehen sein. Dadurch entstehe ein vorhersehbares
Preissignal, an dem sich die Verbraucher orientieren könnten. Tarifänderungen müssten deswegen mit ausreichendem Vorlauf publiziert
werden, um auf einer zuverlässigen Grundlage über Investitionen entscheiden zu können.
Eurelectric spricht sich in diesem Zusammenhang gegen zeitlich dynamische Netzentgelte aus, die von der tatsächlichen Auslastung
der Netze abhängen. Sie seien zu komplex für die Verteilnetzbetreiber ebenso wie für die Erzeuger oder Verbraucher.
Eine wichtige Voraussetzung für effiziente Tarife sind nach Ansicht von Eurelectric Smart Meter sowie der Zugang zu den so
gewonnen Daten. Auf dieser Grundlage könnten Flexibilitätsreserven im Markt mobilisiert, Engpässe besser gemanagt und der
Netzausbau optimiert werden.
Kritik an hohen Steuern und Abgaben
Die hohen Steuern und Abgaben auf Strom verwässerten die Preissignale und stünden einer effizienten Nutzung der Netze entgegen.
Gleichzeitig behinderten sie die für die Dekarbonisierung nötige Elektrifizierung des Energieverbrauchs. Erzeuger sollten
nach Möglichkeit nicht mit Netzentgelten belastet werden. Dadurch werde der Wettbewerb im Groß- und Einzelhandel verzerrt.
In jedem Fall dürften Erzeuger, die in das Übertragungsnetz einspeisen, nicht anders behandelt werden als solche, die direkt
in ein Verteilnetz liefern.
Die unbefriedigende Entwicklung von Speichermöglichkeiten für Strom könnte nach Ansicht von Eurelectric auf falsche Preissignale
zurückzuführen sein. Die bestehenden Tarife sollten darauf untersucht und mit den tatsächlichen Kosten der Speichertechnologien
verglichen werden. Für das Problem der Stromspeicher spielten Elektrofahrzeuge eine wichtige Rolle. ToU-Tarife könnten dazu
beitragen, dass sie nicht mehr, wie bislang, vorwiegend in Spitzenzeiten der Netzauslastung geladen werden.
Der Eurelectric-Untersuchungsbericht kann auf der Homepage des Verbandes heruntergeladen werden.
Dienstag, 19.10.2021, 13:45 Uhr