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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Epex Spot: Lernen aus der IT-Panne
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Epex Spot: Lernen aus der IT-Panne
Ende Juni dürften energieintensive Industrieunternehmen, die vor allem auf kurzfristige Beschaffung setzen, viel Geld verloren haben.
 
Nach Schätzungen von Marktteilnehmern könnte sich die Schadenssumme auf mehrere Hundert Millionen Euro belaufen. Neben den unmittelbaren Folgen hat der Vorfall auch eine politische Dimension: Wie eng sollten die europäischen Energiemärkte zusammenhängen? Wie viel Eigenständigkeit brauchen die Länder? Wie unabhängig ist die deutsche Energieversorgung im Ernstfall?

Am 25. Juni kostete der deutsche Strom im Day-Ahead 492,04 Euro. Eine Panne im Handelssystem „ETS“ der Börse Epex Spot hatte die Kopplung der europäischen Day-Ahead-Strommärkte verhindert. Importmengen aus Nachbarländern fehlten daher.
 
Quelle: E&M


Zeitgleich kostete der Strom am französischen Markt extrem wenig (siehe Grafik). Für die Stunde 7 kam es am deutschen Markt zu 2.325,83 Euro/MWh, während der Preis für Frankreich bei nur 7 Cent/MWh und für die Niederlande mit 88 Euro/MWh auf einem nicht ungewöhnlichen Niveau lag.

Beweis für Schwächen der Energiewende?

Nach Einschätzung von Christof Bauer, Professor für Energiewirtschaft an der TU Darmstadt, ist der Vorfall kein Beweis dafür, dass Deutschland zu wenig gesicherte Leistung hat, um seinen Strombedarf autark zu decken. „Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass die Befürchtung richtig ist, dass wir zu wenig gesicherte Leistung haben“, sagt Bauer im Gespräch mit E&M.

„An dem Tag haben wir aber reines Systemversagen gesehen, auf das weder Verbraucher noch Versorger eingestellt waren.“ Es habe durchaus Kraftwerke gegeben, die Strom hätten anbieten können, aufgrund der prognostizierten Nachfrage und des eigentlich zu erwartenden Preisniveaus aber nicht an der Auktion teilgenommen hätten, sagt er weiter. „Wir hatten die Leistung, sie wurde nur nicht im Zuge der Auktion angeboten. Insofern taugt der Fall nicht als Vorbote.“ 

Dennoch sieht Bauer ein Weiter-so in der deutschen Energiewende kritisch. „Was da an Zielen verkündet wird, ist nicht zu erreichen.“ Insgesamt sei in Europa immer genügend Angebot vorhanden, deswegen importiere Deutschland Strom, wenn die Preise hoch sind.

Kohleausstieg nur noch bedingt vertretbar

Ob Deutschland derzeit im Notfall autark sein kann, hängt laut Bauer davon ab, welches Szenario man für den Strombedarf zugrunde legt. „Die gesicherte Erzeugungsleistung ist aufgrund von Kernkraft- und Kohleausstieg in den letzten Jahren rapide zurückgegangen und unsere Abhängigkeit vom Ausland ist in diesem Zuge größer geworden. Eine Fortsetzung des Kohleausstiegs ohne gleichzeitige Bereitstellung anderer gesicherter Leistung ist nicht vertretbar. Das wird auch daran sichtbar, dass immer mehr Kraftwerke zwar formal aus dem Markt genommen werden, aber anschließend − von BNetzA verordnet und der Allgemeinheit alimentiert − in einer Reserve verbleiben“, so Bauer.

Auch die letzten Atomkraftwerke hätte Deutschland aus seiner wirtschaftlichen Sicht besser laufen lassen, da sie zwar nur im Notfall für den kurzfristigen Ausgleich taugen, im Winter aber zur Absicherung von Vorteil gewesen wären. Deutschland komme derzeit die Tatsache entgegen, dass die Industrie 15 bis 20 Prozent weniger Strom verbraucht, so der Experte weiter.  

Wie lange machen die Nachbarn mit?

Im französischen Wahlkampf hatte die rechtspopulistische Partei RN gefordert, Frankreich vom europäischen Strommarkt abzukoppeln. Auch Jean-Luc Melenchon vom linken Wahlbündnis NFP hatte sich gegen die französischen Stromexporte gestellt. Frankreich könne sich mit seinem Atomstrom günstiger selbst versorgen, lautet die Argumentation. Laut Medien fordert RN-Chef Jordan Bardella für Frankreich eine Ausnahme von den europäischen Energiepreisregeln − angeblich ohne Abkopplung des Landes. Für Deutschland fürchten viele Marktbeobachter jedoch durch die französischen Pläne einen Nachteil, für den der Vorfall an der Epex Spot ein Vorgeschmack sein könnte.

Und Schweden, wo eine konservative Minderheitsregierung regiert, hat das Stromübertragungsprojekt „Hansa Power Bridge“ nach Mecklenburg-Vorpommern beerdigt. Der Netzbetreiber Svenska Kraftnät hat das Vorhaben im Juli gestoppt. Die Regierung sehe das Risiko höherer Preise, hieß es zur Begründung. Die Ablehnung bedeute aber kein Verbot, sollten sich die Bedingungen ändern.

Laut dem deutschen Netzbetreiber 50 Hertz sollte „Hansa Power Bridge“ den deutschen Strompreis stabilisieren, das Übertragungsnetz sichern und indirekt Ökostrom speichern helfen. Mit der Ablehnung werde eine Chance verpasst, den Strombinnenmarkt zu stärken und die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Wissenschaftler Bauer kommentiert: „Dass Schweden verstärkte Stromleitungen nach Deutschland nicht nur mit Freude sieht, liegt auf der Hand, denn die Preise in Schweden würden damit sicher steigen.“

Das Vertrauen in den deutschen Strommarkt ist gesunken − dieses Risiko sieht auch ein Marktteilnehmer, dessen Name E&M bekannt ist. Für Industrieunternehmen könne der Vorfall zu der Entscheidung beitragen, ihre Produktion zu verlagern. Er zeige, dass das deutsche Energiesystem nicht immer allein in der Lage ist, Angebotsengpässe auszugleichen. 

Warum der Spot beliebter ist als gedacht

In der deutschen Industrie wird mehr auf den Spothandel gesetzt, als man annehmen würde, ist aus Branchenkreisen zu hören. „Vor allem die Großverbraucher sind überraschend stark am Spot unterwegs, während die Mittelständler eher längerfristige Beschaffungsstrategien fahren“, sagt ein Experte aus dem Stahlmarkt E&M.

Das Elektrostahlwerk der Feralpi in Riesa (Sachsen) stoppte die Produktion für den betreffenden Tag, berichtet das Handelsblatt. Zwar seien dennoch sechsstellige Fixkosten angefallen, die Entscheidung, doch zu produzieren, wäre aber deutlich teurer geworden. Für Feralpi ist die kurzfristige Beschaffung am sinnvollsten, da das Unternehmen als Baustahlhersteller einen sehr kurzen Auftragsvorlauf habe.   
„Wer vor allem auf kurzfristige Beschaffung setzt, der sollte auch die Möglichkeit haben, seine Produktion flexibel anzupassen“, sagt Christof Bauer. Andernfalls sei diese Strategie höchst riskant.

Das sieht auch Theo Parpan, Geschäftsführer des Energiedienstleisters Enexion, so. „Der Anteil der Unternehmen, die sich zu tagesaktuellen Preisen eindecken, hat nach der Krise 2021/22 stark zugenommen. Das liegt daran, dass die Versorger nur noch spotindizierte Verträge angeboten haben. Ich schätze, dass 20 bis 30 Prozent der Industrieunternehmen zumindest teilweise solche Modelle fahren. Allerdings sollten Großverbraucher ein vernünftiges Risikomanagement betreiben − einschließlich einer Preissicherung im Forward-Markt.“ Enexion rät seinen Kunden auch zu einer permanenten Marktüberwachung: „Das kann eine Einkaufsabteilung im ‚Nebengeschäft‘ in der Regel nicht leisten.“

Nach Informationen aus Branchenkreisen planen erste Unternehmen Klagen gegen Epex Spot. Konkret würden in der Stahlbranche rechtliche Schritte geprüft. Auch die Kanzlei Becker Büttner Held bestätigte auf Anfrage, dass sie mehrere Fälle auf dem Tisch habe. Eine Epex-Sprecherin wollte dies nicht kommentieren. 

„Uns ist nichts Derartiges bekannt“, sagt Enexion-Geschäftsführer Parpan dazu. „Wenn es so etwas geben sollte, sind die Erfolgschancen sehr gering. Unsere Kunden kaufen im Forward-Markt ein, sind also zum großen Teil preislich abgesichert.“ Die entscheidende Frage ist laut Juristen, wer den Vorfall zu verantworten hat und worin genau die technischen Probleme bestanden. Auch stelle sich die Frage, ob die Epex schneller hätte informieren müssen.
 

Marie Pfefferkorn
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Freitag, 02.08.2024, 08:50 Uhr

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