
Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, Entsoe, hat mit seiner Empfehlung, Deutschland einschließlich Luxemburg
in fünf Preiszonen aufzuteilen, hierzulande einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. „Die Aufteilung des deutschen Strommarktes
ist weder sinnvoll noch verhältnismäßig“, ereifert sich der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft. Und der
Cheflobbyist der kommunalen Versorger, Ingbert Liebing, wirft den Experten von Entsoe vor, eine Analyse aufgrund „rückwärtsgewandter
und unvollständiger Kriterien“ abgeliefert zu haben.
Die schrillen Töne verdecken, dass die deutsche Debatte vor allem von regionalen Interessen getrieben wird. Hier geht es nicht
nur um das beste Ergebnis für alle, sondern darum, ob sich die im Süden Deutschlands ansässigen industriellen Verbraucher
gegen den Ökostrom produzierenden Norden durchsetzen.

Quelle: E&M
Richtig ist, dass es an der von Entsoe vorgelegten Analyse und Empfehlung viel berechtigte Kritik gibt. Das liegt auch daran,
dass sich die Organisation als Teil des europäischen Regulierungssystems bei seinen Vorschlägen an den europarechtlichen Vorgaben
orientieren muss. Das setzt der Erkenntnis gewisse Grenzen. Richtig ist, dass die Frage, ob es besser wäre, die große deutsche
Preiszone aufzuteilen, nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden kann. Der eher skurrile Vorschlag von Entsoe, fünf
Preiszonen daraus zu machen, hat zur Wahrheitsfindung nur bedingt beigetragen.
Daten erst an Sankt Nimmerlein
In der Wissenschaft wird über die optimale Aufteilung des deutschen Strommarktes schon länger nachgedacht. Auch die jüngste
Untersuchung des Kölner EWI hat keine letzte Klarheit darüber gebracht. Eine abschließende quantitative Bewertung der Wohlfahrtseffekte
eines Gebotszonensplits sei „derzeit nicht möglich“, heißt es da.
Gleichzeitig wird deutlich, dass die Daten und Informationen dafür voraussichtlich erst am Sanktnimmerleinstag verfügbar sind.
Eine Neuordnung der Preiszonen wäre damit unmöglich, wenn sie nur aufgrund letzter Klarheit erlaubt wäre. Die Verteidiger
des Status quo verweisen deswegen gerne darauf, dass alles eben doch furchtbar unsicher sei – und am besten so bleibe, wie
es ist.
Eine Teilung der einheitlichen deutschen Preiszone hätte Vor- und Nachteile. Von Vorteil wären eine effizientere Erzeugung,
niedrigere Kosten für den Redispatch und wirksamere Investitionsanreize. Nachteilig fallen vor allem die geringere Liquidität,
eine höhere Konzentration und die Umstellungskosten ins Gewicht.
Einheitlicher Strompreis nicht mehr zeitgemäß
Dabei driftet der deutsche Strommarkt in den jüngsten Jahren immer weiter auseinander. Die steigende Zahl von Redispatches
ist ein deutliches Indiz für zunehmende Engpässe im Netz und wachsende, regionale Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage.
Im Nordosten Deutschlands (36 Prozent der Bevölkerung, 32 Prozent der Industrie) wird inzwischen fast die Hälfte des Stroms erzeugt, im Westen und Süden (64 Prozent der Bevölkerung, 68 Prozent der Industrie) nur 52 Prozent, Tendenz: steigend. Ein Verweis auf den Status quo geht deswegen am Kern des Problems vorbei.
Eine Preisbildung in zwei Zonen würde nicht unbedingt zu höheren Strompreisen, aber auf jeden Fall dazu führen, dass man an
den traditionellen Industriestandorten (NRW, Bayern, Baden-Württemberg) mehr für Strom bezahlen müsste als in Schleswig-Holstein,
Brandenburg oder Niedersachsen. Das wollen die südlichen Bundesländer, allen voran Bayern verhindern. Die Industrielobby,
wo die starken Unternehmen aus dem Süden den Ton angeben, macht sich für den Status quo stark. Die Energiewirtschaft schreckt
vor den Kosten, die ein Systemwechsel mit sich bringt, zurück.
Ganz anders sieht man die Sache im Norden und Osten. „Sich krampfhaft an eine einzige Gebotszone im Strommarkt zu klammern“,
sagt der Energieminister von Schleswig-Holstein, Tobias Goldschmidt, „passt nicht mehr in die heutige Zeit und schon gar nicht
zu einem klimaneutralen Deutschland.“
Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die wachsende Bedeutung der Windkraft schaffen Fakten, die man im Stromhandel nicht
länger ignorieren kann. Wer es mit der Energiewende ernst meint, muss energieintensive Industrien sich im Norden ansiedeln
lassen, wo billiger Strom in großen Mengen verfügbar ist. Niedrigere Energiepreise sind dafür der stärkste Anreiz. Wer am
einheitlichen Strompreis festhält, verspielt die Chance, dass Deutschland auch im Zeitalter des Ökostroms ein Industriestandort
bleibt.
Mittwoch, 30.04.2025, 16:33 Uhr