
Die EU-Kommission setzt ihre Kurskorrektur in der Klimapolitik fort. In dieser Woche profitiert davon die Automobilindustrie.
Die Flottengrenzwerte, die sie in diesem Jahr erfüllen sollten, müssen die Autokonzerne nach den Vorschlägen der Kommission
erst im Durchschnitt der Jahre 2025-27 erreichen. Ob ihnen das gelingt, ist fraglich, denn die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen
bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück.
Manche fürchten deshalb, dass es bei den jetzigen Vorschlägen nicht bleibt. Mit der Aufweichung der Flottengrenzwerte öffne
die Kommission „die Büchse der Pandora“, sagt der energiepolitische Sprecher der Grünen, Michael Bloss: „Die Rechten stehen
schon bereit, um mit den Konservativen den Green Deal auf den Schrottplatz zu fahren.“ Statt mit bußgeldbewehrten Vorschriften
soll die Industrie mit finanziellen Anreizen auf einen klimafreundlichen Wachstumspfad gelenkt werden. Auch hier ist die Kommission
in dieser Woche tätig geworden und hat 600 Mio. Euro für den Ausbau der grenzüberschreitenden Energieinfrastruktur bereitgestellt.
Um die Mittel aus dem Haushalt der EU können sich Projekte bewerben, die als „Projekte im allgemeinen Interesse“ (PCI) anerkannt
sind.
Der französischen Regierung hat die Kommission erlaubt, weitere 380 Millionen Euro Subventionen bereitzustellen. Mit dem Geld
sollen die Hersteller von „sauberen“ Technologien (Wärmepumpen, Solaranlagen, Elektrolyseuren, CCS-Anlagen etc.) unterstützt
werden. Mittelfristig soll die EU mindestens 40 Prozent ihres Bedarfs selbst decken. Ob die EU damit ihrem Ziel näherkommt,
Energie billiger zu machen, steht auf einem anderen Blatt.
Die Kosten für die Stromnetze tendieren auf jeden Fall weiter nach oben. Darauf hat die europäische Regulierungsbehörde Acer
hingewiesen. Sie geht davon aus, dass die Netzbetreiber bis 2050 zwischen 75 und 100 Milliarden Euro pro Jahr investieren
müssen, wenn die EU die Ziele ihrer Energie- und Klimapolitik erreichen will. Die Verbraucher müssten für die Nutzung der
Netze dann 50 bis 100 Prozent mehr bezahlen. Die Regulierer der EU sehen allerdings erhebliche Rationalisierungspotentiale,
mit denen die Rechnung gedrückt und die Nutzung der Infrastruktur optimiert werden kann.
Über das Ausmaß der notwendigen Investitionen in Stromleitungen, Speicher und die Digitalisierung der Netze sind in den letzten
Tagen unterschiedliche Schätzungen vorgelegt worden. Der europäische Dachverband der Elektrizitätswirtschaft, Eurelectric,
widersprach den Regulierern mit einer eigenen Schätzung von 67 Milliarden Euro pro Jahr. Ausgehend von einer Elektrifizierungsrate
von 60 Prozent erwartet Eurelectric 2050 eine Stromproduktion von 4.428 TWh in der EU, ein Drittel mehr als Acer. Die Kosten
für den Ausbau der Netze würden dann auf eine breitere Nachfrage verteilt und für jede einzelne Kilowattstunde geringer ausfallen.
Ein effizienter Netzausbau und geringere Erzeugungskosten der erneuerbaren Energien gegenüber der schwindenden fossilen Erzeugung
führen nach den Berechnungen von Eurelectric dazu, dass Strom 2050 nur noch halb so viel kostet wie heute. Der Regulierungsbehörde
wirft Eurelectric vor, mit Schwarzmalerei die Elektrifizierung zu behindern.
Rechnungshof sieht Effizienzpotenziale
Mit dem Ausbau der Netze hat sich auch der Europäische Rechnungshof (ERH) befasst. Er geht von einer Verdoppelung der Stromproduktion
bis 2050 aus und hat ermittelt, dass die Netzbetreiber bis dahin 1.871 Milliarden Euro investieren wollen, deutlich weniger
als der von der EU-Kommission geschätzte Investitionsbedarf zwischen 1994 und 2294 Milliarden Euro für den gleichen Zeitraum.
Die Rechnungsprüfer der EU sehen allerdings ein erhebliches Potential, mit geringeren Investitionen auszukommen. Die Digitalisierung
und andere Innovationen böten große Möglichkeiten, den Bau teurer Leitungen, Umspannwerke oder Speicher zu begrenzen und das
Netz trotzdem ausreichend zu ertüchtigen. Auch bei der Planung, Genehmigung und Finanzierung gebe es Effizienzpotentiale.
Eine richtige Regulierung könne dafür wichtige Anreize setzen. Die Regulierer müssten die Netzentgelte so gestalten, dass
ausreichend und an den richtigen Stellen in den Netzausbau investiert werde. Dabei müsse das Interesse der Verbraucher an
erschwinglichen Energiepreisen ebenso berücksichtigt werden wie die Notwendigkeit, eine ausreichende Rendite für Investitionen
in neue Leitungen oder Speicher sicherzustellen. Voraussetzung für die notwendige Digitalisierung der Netze seien darüber
hinaus intelligente Messsysteme und intelligente Geräte, die eine Steuerung des Stromverbrauchs in Echtzeit ermöglichten.
In den meisten EU-Staaten sind intelligente Stromzähler inzwischen Standard: in den skandinavischen Ländern, Italien, Spanien
oder Frankreich verfügt inzwischen fast jede Verbrauchsstelle über einen „Smart-Meter“. Deutschland ist mit einem Prozent
das Schlusslicht unter den EU-Staaten. Auch beim Ausbau der Stromnetze gebe es in Deutschland einen „bemerkenswerten Nachholbedarf“.
Donnerstag, 03.04.2025, 17:05 Uhr