
Mit ihrem Taxonomy-Paket will die Kommission die Weichen dafür stellen, dass mehr privates Kapital in solche Technologien
fließt, die den Wandel zu einer emissionsfreien Wirtschaft begünstigen. Dafür werden in den nächsten Jahren mehrere hundert
Milliarden Euro pro Jahr benötigt, die aus den öffentlichen Haushalten nicht aufgebracht werden können. Mit den Taxonomy-Vorschriften
will die EU dafür sorgen, dass private Anleger wissen, auf welchen Investitionen ihr klimapolitischer Segen ruht.
Den Rahmen dafür hatten der Ministerrat und das Parlament bereits im letzten Jahr gezogen. Danach gilt eine Investition als
nachhaltig, wenn sie einem von sechs Umweltzielen dient: Reduzierung der Treibhausgase, Anpassung an den Klimawandel, dem
Schutz sauberer Luft und Gewässer, der Kreislaufwirtschaft und der Biodiversität. Die anderen fünf Ziele dürfen dabei nicht
beeinträchtigt werden. Diese allgemeinen Grundsätze müssen jetzt in konkrete Vorschriften umgesetzt werden.
Wie immer haben sich die Beamten in Brüssel dieser Aufgabe mit großer Mühe und viel Liebe zum Detail gewidmet. Die Taxonomy-Verordnung
selbst hat nur drei Artikel. Die dazugehörige Anlage über emissionsmindernde Technologien hat knapp 200, die über Investitionen
zur Anpassung an den Klimawandel rund 300 Seiten. Hinzu kommen Verordnungen über neue Berichtspflichten für Unternehmen, die
nachhaltig investieren oder die Pflichten von Treuhändern. Banken, Versicherungen und andere Akteure der Finanzwirtschaft
müssen ihre Kunden in Zukunft über die Nachhaltigkeit von Investitionen aufklären.
Chancen für Batteriefabrik und Stromtrassen
Kern des Paketes ist die Taxonomy-Verordnung, die alle Technologien enthält, die künftig als nachhaltig gelten und als solche
beworben werden dürfen. Eine Batteriefabrik etwa hat gute Chancen als nachhaltige Investition durchzugehen, wenn sie eine
Reihe von Umweltauflagen erfüllt, die in Annex 1 und 2 genannt sind. Eine Hochspannungsleitung nur, wenn zwei Drittel des
beförderten Stroms „grün“ sind in dem Sinn, dass bei der Produktion nicht mehr als 100 Gramm CO2 pro kWh entstehen. Außerdem
müssen bei der Bewertung von Investitionen besondere Risiken berücksichtigt werden, die nach Ansicht der Kommission mit dem
Klimawandel verbunden sind, zum Beispiel eine höhere Waldbrand- oder Lawinengefahr.
Die Entscheidung, welche Technologien in die Taxonomy-Verordnung aufgenommen wurden, sei nach streng wissenschaftlichen Maßstäben erfolgt, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrowski bei der Vorlage des Paketes in Brüssel. Eine Investition im Gebäudesektor etwa würden dann als nachhaltig akzeptiert, wenn sie dem Standard der anspruchsvollsten 15 % der heutigen Investitionen entspreche. Alle Werte in der VO würden regelmäßig überprüft und an die Entwicklung von Wissenschaft und Technik angepasst. Für Brückentechnologien denkt man in Brüssel offenbar auch über sogenannte Sunset-Klauseln nach, mit denen ihr Einsatz zeitlich befristet würde.
Dombrowski verteidigte die Entscheidung, die klimapolitische Beurteilung der Atomenergie und des Einsatzes von Erdgas getrennt vorzunehmen. Der wissenschaftliche Dienst der Kommission habe seine Beurteilung der Nukleartechnik noch nicht abgeschlossen. Mit einem endgültigen Ergebnis rechnet man in Brüssel erst im Sommer.
Die Frage, ob und unter welchen Umständen Erdgas als Brückentechnologie zum Einsatz kommen sollte, könne frühestens im Herbst geklärt werden. Die Kommission habe dann die Möglichkeit, den Mitgliedstaaten eine Rechtsverordnung vorzulegen oder die Frage erneut dem Rat und dem Parlament vorzulegen.
Mit der jetzt vorgelegten Verordnung, der die Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen müssen, sind nach Angaben
der Finanzkommissarin, Mairead McGuiness, 80 % der wirtschaftlichen Aktivität in der EU abgedeckt. Man habe die Taxonomy-VO
für diese Branchen nicht wegen der Kontroverse um Erdgas und Atomkraft aufschieben wollen. Denn beim Klimapakt sei Eile geboten.
„Das Finanzsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Klimapaktes, der hohe Investitionen erfordert“, sagte McGuiness.
Sie betonte, dass die Taxonomy kein Ausschlusskriterium sei. Technologien, die nicht als nachhaltig ausgewiesen würden, seien
deswegen nicht verboten.
CDU begrüßt separate Regelung für Gas und Atomkraft
Die Grünen im Europaparlament hoffen, dass sich die Taxonomy der Europäer zu einem internationalen Standard für nachhaltige
Investitionen entwickelt. Nach langem Zögern mache die EU „Fortschritte bei nachhaltiger Finanzierung und auf dem Weg zu einer
kohlenstoffneutralen Wirtschaft“, sagte der grüne Abgeordnete Bas Eickhout. Jetzt gehe es darum sicherzustellen, dass die
„Gas- und Atomlobby die Kriterien nicht aushöhlen“.
Der konservative Abgeordnete Markus Pieper (CDU) sieht in der Entscheidung der Kommission, Gas und Atomenergie separat zu
regeln, „die Chance für eine schnellere und effizientere Energiewende“. Viele Mitgliedsstaaten könnten auf Erdgas als Übergangstechnologie
nicht verzichten.
Sein Fraktionskollege Markus Ferber (CSU) kündigte an, das Parlament werde genau prüfen, ob die Vorschläge der Kommission
ausgewogen genug seien. „Ohne den Energiesektor bleibt die Taxonomie unvollständig.“ Das Parlament könnte die Taxonomy-VO
insgesamt mit der Mehrheit seiner Mitglieder zurückweisen.
Der Verband kommunaler Unternehmen bedauert, dass mit der Vorlage der Kommission „keine klaren und verlässlichen Perspektiven
für Versorgungssicherheit“ eröffnet würden. Auch Deutschland brauche gasbefeuerte KWK-Anlagen als Brückentechnologie, sagte
VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Durch den Einsatz von Gas statt Kohle könnten viele CO2-Emissionen eingespart werden.
„Auch deswegen ist es unverständlich, dass sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Position verständigen konnte.“
Donnerstag, 22.04.2021, 08:57 Uhr