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Enerige & Management > E&M Vor 20 Jahren - Der richtige Weg ist umstritten
Quelle: Pixabay / Ulrike Leone
E&M VOR 20 JAHREN:
Der richtige Weg ist umstritten
Vor 20 Jahren war die Katastrophe von Fukushima noch weit weg und auch die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke. Gestritten wurde aber dennoch über Klimaschutz ohne Atom.
 
Bei der VGB Powertech, dem internationalen technischen Verband der Energieanlagenbetreiber, war 2004 das Thema Atomausstieg ein großer Aufreger, wie der damalige E&M-Chefreporter Ralf Köpke feststellte.

 
VGB Powertech hält das Erreichen der Klimaziele mit dem gleichzeitigen Atomausstieg für unvereinbar und wirbt deshalb für verlängerte Laufzeiten der Kernkraftwerke. Das halten Forscher und die Bundesregierung für den falschen Weg.

Die Stromwirtschaft arbeitet am Ausstieg aus dem Atom-Kompromiss durch die Hintertür. Ihre Strategie: Die Bundesregierung könne bis zum Jahr 2020 ihre Klimaziele nicht erreichen, wenn sie gleichzeitig beim Ausstieg aus der Atomkraft bleibe. Im Vorfeld ihres jüngsten Kongresses streuten die Großkraftwerksbetreiber, vereint in der VGB Powertech, diese Botschaft. Ihr Vorsitzender Gerd Jäger: „Beide Ziele sind gleichzeitig nicht zu erreichen, deshalb muss die Politik Prioritäten setzen.“ Verbal bekannte sich Jäger, der im Vorstand der RWE Power AG für die Bereiche Atomkraft und erneuerbare Energien zuständig ist, dagegen weiter zu dem im Jahr 2000 vereinbarten Zeitplan für den Atomausstieg.

Die Forderung nach längeren Laufzeiten für die bestehenden Reaktoren lehnte Georg Wilhelm Adamowitsch, der für Energiefragen zuständige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, aber in einem munteren Dialog mit Jäger vor der Landespressekonferenz in Düsseldorf strikt ab: „Es macht überhaupt keinen Sinn, diese Diskussion neu zu beleben. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, dass die Energieerzeuger bei der anstehenden Kraftwerkssanierung endlich zu Potte kommen.“

Nach seinen Worten seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nie so gut gewesen wie derzeit. Der beschlossene Atomausstieg, der Nationale Allokationsplan für den Emissionshandel sowie das anstehende Energiewirtschaftsgesetz böten genau das „hohe Maß an Planungssicherheit“, das die Energiewirtschaft immer wieder von der Politik eingefordert habe.

Der frühere Leiter der NRW-Staatskanzlei verwies insbesondere auf die Situation der Braunkohle: „Nach dem Allokationsplan gibt es einen Rechtsanspruch für neue Braunkohlekraftwerke, der sich mindestens über 17 Jahre erstreckt.“ Adamowitsch verwahrte sich deshalb auch gegen Vorwürfe Jägers, der der Bundesregierung vorhielt, kein „schlüssiges Energiekonzept“ zu haben.

Die Forderung des Staatssekretärs nach mehr Tempo beim Bau neuer Kraftwerke ergibt angesichts der langen Vorlaufzeiten bei Planung und Bau sowie wie der begrenzten Kapazitäten bei den Anlagenbauern Sinn, was auch eine neue Studie des Marktforschungsunternehmens Trend Research zum Ausdruck bringt. Da es nicht nur hierzulande, sondern auch weltweit in den vergangenen Jahren kaum nennenswerte Aufträge für Großkraftwerke gab, schrumpfte die Zahl der Anbieter von einst sieben auf heute drei: Siemens, Babcock-Hitachi und Alstom. Ähnlich sieht es bei den Komponentenzulieferern aus, auch in diesem Sektor hat es eine Marktbereinigung gegeben.

CO2-freies Kohlekraftwerk nicht vor 2020

Nun sieht der VGB nach dem von ihm selbst erstellten Szenario bis zum Jahr 2020 einen Erneuerungsbedarf für 37.000 MW, das ist etwa ein Drittel des heutigen Kraftwerksparks in Deutschland. Oder anders ausgedrückt: Mindestens 40 „dicke Brummer“ müssen gebaut werden. Interessant an diesem Ausblick ist noch eine andere Zahl: So erwartet der VGB, dass Erdgas künftig gut ein Drittel der heimischen Stromerzeugung decken wird – heute sind es nicht einmal zehn Prozent.

Auch wenn parallel zum vermehrten Einsatz des umweltfreundlicheren Erdgases der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 20 Prozent ausgebaut wird (so die Vorgabe des jüngst novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes), wird dieser Kraftwerksmix nach VGB-Angaben nicht ausreichen, um das Klimaziel einer 40-prozentigen Kohlendioxid-Reduktion bis zum Jahr 2020 zu erreichen. VGB-Vorstand Jäger: „In der Kraftwerkssparte kommen wir bis dahin auf lediglich zwölf Prozent, wobei auch klar ist, dass die Emissionen im Energiebereich ab dem Jahr 2015 mit dem vermehrten Abschalten von Atomkraftwerken insgesamt wieder steigen werden.“

Genau das hält Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin „eine Zeitlang“ auch für vertretbar: „Das 40-Prozent-Ziel allein auf die Stromproduktion zu fokussieren ist falsch. Andere Bereiche, wie beispielsweise Verkehr oder die privaten Haushalte, müssen in den nächsten Jahren größere Anstrengungen zum Erreichen des Klimazieles erbringen.“ Ziesing, langjähriger Energieexperte am DIW, warnt davor, mit der Drohgebärde steigender CO2-Emissionen den Atomkompromiss aufzuweichen: „Nach wie vor sind nicht alle technisch-wirtschaftlichen Alternativen beim Stromsparen ausgeschöpft, weshalb ich das Klimaziel bis zum Jahr 2020 nach wie vor für erreichbar halte.“ Allerdings müsse es dazu klare Vorgaben aus der Politik geben.

Ebenfalls wenig Verständnis für den Vorstoß der Stromwirtschaft zeigt Professor Uwe Leprich von der Saarbrücker Hochschule für Technik und Wirtschaft: „Mit ihrem anachronistischen Tunnelblick verkennen die Großkraftwerksbetreiber die immensen technischen, ökonomischen und ökologischen Vorteile kleiner und dezentraler Kraftwerke, die es auf Wirkungsgrade von 75 Prozent und mehr bringen.“ Sein Tipp an die Politik lautet deshalb, das VGB-Szenario „sehr kritisch“ zu hinterfragen.

Unabhängig von einzelnen Zahlen ist aber eine Entwicklung unstrittig: Auch bis Ende der nächsten Dekade werden die fossilen Energien Kohle und Gas die wichtigsten Energieträger bleiben. Unter Klimagesichtspunkten ist es deshalb sinnvoll, Kohle- und Erdgaskraftwerke zu optimieren. Hoffnungen, dass es in absehbarer Zeit zum Bau eines CO2-freien Kohlekraftwerkes kommt, relativierte Staatssekretär Adamowitsch: „Wir streben das Jahr 2020 an, wünschenswert wäre aber jedes Jahr früher.“

Das Bundeswirtschaftsministerium setzt deshalb auf das COORETEC-Programm (CO2-Reduktionstechnologien), das deutsche Forschungs- und Entwicklungskonzept für emissionsarme Kohle- und Gaskraftwerke. Allerdings ist die finanzielle Förderung eher bescheiden. Nach den Worten Adamowitschs sind im nächsten Haushalt 16 bis 20 Millionen Euro eingeplant. Berlin setzt daher stark auf EU-Unterstützung, um beispielsweise das Problem der CO2-Sequestrierung lösen zu können. Mit Geldern aus Brüssel startet in diesem Jahr noch das Pilotvorhaben „CO2-Sink“ im brandenburgischen Ketzin.

Klar ist: Bei den anstehenden Investitionen der großen Energieversorger spielt das CO2-freie Kohlekraftwerk keine Rolle. RWE-Mann Jäger: „Vor 2020 sehen wir diesen neuen Kraftwerkstyp nicht.“ Selbst diesen Termin hält DIW-Energieexperte Ziesing für eine Wunschvorstellung: „Ich gehe davon aus, dass bis dahin alle wichtigen Forschungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind.“
 

Ralf Köpke
© 2024 Energie & Management GmbH
Freitag, 19.07.2024, 17:49 Uhr

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