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Enerige & Management > Aus Der Akuellen Ausgabe - Chiemsee soll dem „Prienavera“ einheizen
Quelle: E&M
AUS DER AKUELLEN AUSGABE:
Chiemsee soll dem „Prienavera“ einheizen
Freizeitbäder sind nicht nur beliebte Erlebnisräume, sondern auch gewaltige Energiefresser. Die oberbayerische Gemeinde Prien will den Chiemsee zum Sparen heranziehen. 
 
Direkt am Chiemsee liegt es, das „Prienavera“, ein Freizeitbad im Bereich der oberbayerischen Gemeinde Prien. Mit 27 Grad Celsius ist es im Schwimmbecken noch am kältesten: Erlebnisbecken, der Pool für Kleinkinder und der Außenbereich bringen es auf 30 Grad und mehr. Auch dann, wenn draußen Schnee liegt und sich am Chiemsee Eisflächen bilden, was freilich immer seltener passiert. Doch selbst in diesem Fall taugt er noch als Energiequelle, die sich der wärmeliebende Nachbar jetzt gerne erschließen möchte. Eine Seewasserpumpe soll das möglich machen, es wäre ein Vorreiterprojekt in Bayern.
 
Das Freizeitbad „Prienavera“ will sich vom Chiemsee beim Heizen helfen lassen
Quelle: Günter Drewnitzky

Dabei ist die Anwendung, das Seewasser per Wärmepumpe auf Badewassertemperatur zu bringen, hocheffizient und geradezu ideal, wie Schwimmbadplaner Stefan Mersmann gegenüber E&M erläutert. Er ist mit seiner Essener Firma „bt plan GmbH“ schon seit vielen Jahren für die Kommune tätig, wenn es um die Modernisierung der Energieversorgung im „Prienavera“ geht. Seit zwei Jahren tüftelt er an verschiedenen Flusswärmepumpenkonzepten. Der Vorteil im speziellen Anwendungsfall: Das Beheizen der Becken kommt mit einer Vorlauftemperatur von nur 45 Grad aus. Für das Erwärmen von Raumluft werden weit höhere Werte benötigt. 

Eine Leitung für den Sommer, eine für den Winter

Ganz konkret kann man sich die Konstruktion so vorstellen: In einer Tiefe von 1,50 und 8 Metern sollen zwei Rohrleitungssysteme Seewasser abzapfen. Es wird dann in die Energiezentrale geleitet, wo es über einen Wärmetauscher Wärme an einen zweiten Wasserkreislauf abgibt, der wiederum von einer Wärmepumpe auf die erforderlichen 45 Grad gebracht wird.

Im Sommer kann das warme Oberflächenwasser genutzt werden. Im Winter stehen weiter unten immer noch konstant 8 Grad zur Verfügung, auch dann, wenn es oben schon gefriert. Betrieben werden soll die Wärmepumpe vorwiegend mit Strom aus einer Dachphotovoltaikanlage. Für die vollständige Versorgung des Freizeitkomplexes, also neben der Beckenheizung die Raumluft- und Duschwassererwärmung, reicht die Wärmepumpe freilich nicht. Hier übernimmt ein mit Gas betriebenes Blockheizkraftwerk. 

Umweltfolgen wohl eher positiv

Bleibt noch die Frage, was die Natur eigentlich von dieser Art der Energiegewinnung halten dürfte. Für die Seen, so mal oberflächlich zusammengefasst, scheint das Ganze unschädlich zu sein. Im Gegenteil: Das Wasser fließt abgekühlt aus dem Wärmetauscher zurück, was, vor allen auch mit Blick auf die voranschreitende Erderhitzung, ein positiver Aspekt ist. Eine Sicht, der sich Umweltexperten ebenso wie betroffene Fischer anschließen können. Auch sind für die Projekte Umweltverträglichkeitsprüfungen erforderlich. 

Die Energiebilanz des Gesamtkonzepts ist beeindruckend. Mersmann hat für den Priener Gemeinderat mehrere Varianten ausgearbeitet, mit denen sich in unterschiedlichem Maße Betriebskosten und CO2 einsparen lassen. Mit der von ihm favorisierten Ausführung mit Wärmepumpe, PV-Anlage und neuem BHKW wären es 150.000 Euro im Jahr − in denen die Finanzierungskosten bereits berücksichtigt sind − und ein Rückgang der CO2-Emissionen um 300 Tonnen.

Allein das BHKW, das die 2017 installierte Anlage ersetzen soll, hat daran einen Anteil von 160 Tonnen. „Optimal ist, dass in diesem Fall der Verbrauch fossiler Energie und auch die CO2-Emissionen erheblich gemindert werden und dabei gleichzeitig die Betriebskosten reduziert werden können“, erklärt Mersmann. Das, so erinnert er sich, war bei Anpassungen in der Vergangenheit eher ein zweischneidiges Schwert: Kosten runter, CO2 rauf − Kohlendioxid runter, Kosten rauf. 

Geld ist nach ein paar Jahren wieder drin

Allein für die Seewärmepumpe hat der Diplom-Ingenieur Finanzierungskosten zwischen einer halben und 1,5 Millionen Euro berechnet, je nach Variante. Aber die wären durch die eingesparten Energiekosten schnell wieder drin: in sechs bis acht Jahren, vollständig. Der zeitliche Ablauf ist jetzt abhängig von der Zustimmung des Gemeinderates. Sollten die Kommunalpolitiker im Herbst grünes Licht geben, rechnet Mersmann danach mit einer Planungs- und Bauvorbereitungsphase von einem Jahr. Wenn alles optimal läuft, so seine Einschätzung, könnte der Chiemsee ab 2027 als Energielieferant für das Freizeitbad an den Start gehen. 

Allerdings, ein Haar in der Suppe gibt es auch hier. Es ist zwar in diesem speziellen Fall kein Haar, aber auch was Biologisches, genauer gesagt eine Muschel, ganz genau genommen die Zebramuschel, eine invasive Art, die sich im Chiemsee schon seit Jahrzehnten breitmacht. Dummerweise hat auch sie die muscheltypische, ernährungstechnisch vorteilhafte Angewohnheit, sich in Strömungsbereichen festzusetzen, und solche sind natürlich die Rohre, die den Wärmetauscher mit Wasser versorgen.

Aber auch dafür weiß der Schwimmbadplaner aus Essen Rat: Ein Molch soll’s richten, nein, jetzt mal nichts Biologisches, sondern ein mechanisches Exemplar. Das Gerät kann bei Bedarf innen durchs Rohr geschoben werden und die Muscheln abschälen. Aber alles halb so wild, mehr als alle ein bis zwei Jahre, so schätzt der Experte, werde das nicht nötig sein. 

Von Februar 2023 bis Februar 2024 war das „Prienavera“ übrigens geschlossen. In der Zeit waren bereits Teile der Schwimmbadtechnik erneuert worden, ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung. Der Schwerpunkt lag vor allem auf dem Einbau hocheffizienter Lüftungsanlagen und ebensolcher Pumpen für die Badewasseraufbereitung, mit denen der Stromverbrauch deutlich gesenkt wird. Auch erfolgten in der Zeit bereits Anpassungen im Hinblick auf die Seewärmenutzung. 

Seewasser wird auch andernorts angezapft

Die Energiekrise nach dem Gasstopp aus Russland 2022 und die CO2-Bepreisung bei der Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen haben alternative Energiequellen wieder mehr in den Fokus gerückt, sodass auch andernorts über See- und Flusswärmepumpenkonzepte verstärkt nachgedacht wird. 
 

Flusswärme statt Atomheizung

Für viel Wirbel hatte Ende vergangenen Jahres eine maximal innovative Idee von Bürgermeister Jörg Frauhammer (SPD) im baden-württembergischen Gemmrigheim gesorgt. Er war mit der Idee an die Öffentlichkeit gegangen, für die örtliche Fernwärmeversorgung das Zwischenlager des Kernkraftwerks Neckarwestheim anzuzapfen, das sich mit 99 Castoren in unmittelbarer Nähe befindet. So unmittelbar, dass sich Teile davon auf der Gemarkung der 5.000-Seelen-Gemeinde befinden. Das Zwischenlager, so argumentierte Frauhammer, der als promovierter Ingenieur der Verfahrenstechnik durchaus über Expertise verfügt, sei eine sehr naheliegende und mächtige Wärmequelle. Die Idee stieß nicht nur bei den zuständigen Behörden auf wenig Gegenliebe, sondern auf maximale Skepsis. „Die EnBW-Kernkrafttochter EnKK möchte die Wärmequelle Zwischenlager nicht anzapfen. Das ist sicher. Sie formuliert technisch/physikalische Gründe dagegen“, teilte Frauhammer auf Anfrage von E&M mit. Er selbst könne das bisher nicht nachvollziehen. 
Auf jeden Fall nähert sich die Gemeinde in Sachen Wärmeversorgung einer anderen guten, wenn auch nicht ganz so innovativen Alternative: Eine Flusswärmepumpe, mit der der Neckar als Wärmequelle genutzt werden kann, wäre natürlich auch eine Option. 

In die bundesweiten Schlagzeilen schaffte es vergangenes Jahr etwa ein Großprojekt, das im Brandenburger Braunkohlerevier geplant ist: Hier soll die Ostsee in Cottbus mit einer Großwärmepumpe angezapft werden. Die Stadtwerke planen, rund 40 Prozent des Fernwärmebedarfs der 100.000-Einwohner-Stadt auf diese Weise zu gewinnen, als Ersatz für ein Kohleheizkraftwerk, dessen Stilllegung 2030 ansteht. Die Dimensionen des Vorhabens verdeutlicht allein die Investitionssumme: 80 Millionen Euro werden für die 35-MW-Anlage veranschlagt. Von hohen Fördermitteln zur Unterstützung des Strukturwandels in der Region kann allerdings ausgegangen werden. 

Auch in einigen Kommunen rund um den Bodensee macht man sich gerade konkretere Gedanken zum Thema. Ganz vorne dabei ist die Kleinstadt Meersburg, wo ein ähnliches Konzept wie in Prien am Chiemsee verfolgt wird: Als erstes Gebäude soll ab 2027 die Meersburger Therme an der Uferpromenade mit Seewasser beheizt werden, später dann Staatsweingut, Schloss und Schule. In Friedrichshafen, Konstanz und Kreuzlingen gibt es ebenfalls Pläne und Überlegungen zur Seewärmenutzung. Auf österreichischer Seite ist man in Bregenz schon weiter: Hier werden seit Kurzem Hallenbad und Festspielhaus mit klimafreundlicher Bodenseewärme versorgt. 

​Schweizer haben die Nase vorn

Eindeutig die Nase vorn haben allerdings die Schweizer Nachbarn: Energie aus dem Vierwaldstättersee spielt in Luzern schon lange eine Rolle. Seit 1984 werden das Bahnhofs- und Postgebäude damit beheizt und gekühlt. Erst 2020 ging eine modernisierte und erweiterte Anlage in Betrieb. Und ganz neue Projekte werden intensiv vorangetrieben: Aktuell sind zusätzliche Energiezentralen und der umfassende Ausbau des Wärmenetzes in Planung mit dem Ziel, mehr als die Hälfte des Wärmebedarfs der 85.000-Einwohner-Stadt aus dem See zu decken. Auch Zürich und Zug nutzen schon Seewärme und auch hier gibt es Ausbaupläne. 
 
Schon 2024 wurde im „Prienavera“ so einiges getan, um Energie zu sparen: Schwimmbadplaner Stefan Mersmann an einer hocheffizienten Umwälzpumpe für die Beckenwasseraufbereitung
Quelle: bt plan GmbH


 
Energetisch optimierte Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnungssystem im „Prienavera“
Quelle: bt plan GmbH

 
 

Günter Drewnitzky
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