
Dadurch würden die darauf basierenden Verordnungen ihre rechtliche Grundlage verlieren. Die deutsche Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, müsste dann ohne Vorgaben aus Berlin entscheiden, welche Unternehmen Zugang zum deutschen Strom- und Gasmarkt erhalten und zu welchen Bedingungen.
Christoph Riechmann von der Beraterfirma Frontier Economics verwies darauf, dass die deutsche Regulierung eine lange Vorgeschichte habe. Diese Tradition werde die Arbeit der Bundesnetzagentur auch ohne die Verordnungen der Bundesregierung weiter beeinflussen. Eine stabile und vorhersehbare Regulierung sei mit einer größeren Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur durchaus vereinbar. Allerdings müsse damit gerechnet werden, dass Grundsatzentscheidungen der Behörde aus den letzten Jahren überprüft würden.
Riechmann nannte in diesem Zusammenhang die in den Verordnungen der Regierung gemachten Produktivitätsvorgaben. Dazu habe
die Behörde eine unterschiedliche Empfehlung abgegeben. In Zukunft könnte sie ihre Vorstellungen in die Regulierungsentscheidungen
einfließen lassen.
In Bonn könne man sich auch stärker an der Regulierungspraxis in anderen EU-Ländern wie Österreich oder den Niederlanden orientieren,
deren nationale Behörden über einen wesentlich größeren Ermessensspielraum verfügten. Über die Länge der Regulierungsperiode
etwa werde die Bundesnetzagentur in Zukunft selber entscheiden. Auswirkungen könne mehr Unabhängigkeit der Regulierer auch auf den Eigenkapitalzins, die Gewichtung
einzelner Kostenfaktoren oder die Tarifstruktur haben.
Regulierer haben gut mit den Vorgaben aus Berlin gelebt
Chris Mögelin, Justiziar der Bundesnetzagentur, widersprach dem nicht. Die deutschen Regulierer hätten gut mit den Vorgaben
aus Berlin gelebt und nicht nach mehr Unabhängigkeit verlangt. Die in den letzten Jahren entstandene Regulierung funktioniere
zur Zufriedenheit der meisten Unternehmen. Das gelte auch für die Kalkulation von Kosten: „Niemand will an den Eigenkapitalzins
rangehen.“
Deutschland habe bis zu 24 Monaten, um das Urteil umzusetzen. Bis dahin bleibe das EnWG in seiner jetzigen Form gültig. Um
Rechtssicherheit und stabile Verhältnisse auf den Energiemärkten zu garantieren, verlange auch der EuGH einen „ausreichenden
Vorlauf“, um zu Regulierungsentscheidungen zu kommen. Es müsse aber allen Beteiligten klar sein, dass die Übergangsphase zeitlich
begrenzt sei.
Mögelin wies darauf hin, dass die Regierung „politische Leitlinien“ für die Regulierung vorgeben dürfe. Lediglich die „technisch-fachlichen
Entscheidungen“ seien nach dem Urteil des EuGH der Bundesnetzagentur vorbehalten. Der Rechtsschutz der betroffenen Unternehmen
sei auch in Zukunft gesichert.
Nach Ansicht des Fachanwaltes Angelo Vallone müssen die deutschen Gerichte dabei aber in Zukunft direkt europäisches Recht
anwenden, wenn sie Entscheidungen der Bonner Behörde überprüfen. Es werde deswegen öfter als bisher zu einer Beteiligung des
EuGH in diesen Verfahren kommen.
Die Justiziarin des BDEW, Paula Hahn, geht davon aus, dass die Bundesnetzagentur ihren größeren Entscheidungsspielraum „auch zugunsten der Unternehmen“ nutzen kann. Wenn die Regulierungsbehörde in Zukunft
Recht setzen könne, müssten ihre Entscheidungen von innen und von außen stärker kontrolliert werden. Mehr Transparenz und
anspruchsvollere Begründungen seien notwendig. Die Regulierungsentscheidungen sollten außerdem durch ein unabhängiges, wissenschaftliches
Gremium kontrolliert werden.
Das Urteil des EuGH ist nach Ansicht des BDEW nicht so eindeutig, dass Klarheit darüber herrsche, wie es umgesetzt werden
müsse. Eine Änderung des EnWG sollte deswegen in enger Abstimmung mit der EU-Kommission erfolgen.
Donnerstag, 30.09.2021, 14:17 Uhr