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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Backbone oder Baustelle der Energiewende?
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Backbone oder Baustelle der Energiewende?
Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger – doch der Hochlauf stockt. Ohne leistungsfähige Gasverteilnetze bleibt das politisch ausgerufene Wasserstoffzeitalter unerreichbar.
 
Milliardenprojekte sind für grünen Wasserstoff angekündigt. Aber nur wenige nehmen Fahrt auf. Vieles bleibt in der Planungsphase stecken − nicht zuletzt weil zentrale infrastrukturelle Voraussetzungen fehlen. Im Zentrum steht dabei das Wasserstoff-Kernnetz. Doch bei den regionalen Verteilnetzen zeigt sich eine gravierende Lücke, die den Markthochlauf akut behindert.
Sowohl Union als auch SPD bekennen sich in ihren Strategien klar zum Wasserstoff. Die Bundesregierung führt den Plan für ein rund 9.040 Kilometer langes Kernnetz fort, der bereits in der vergangenen Legislaturperiode angestoßen wurde. Bis 2032 soll es realisiert sein. Etwa 56 Prozent der Trassen sollen aus bestehenden Erdgasleitungen umgewidmet werden, ergänzt durch gezielte Neubauten.

Die Finanzierung erfolgt über ein Amortisationsmodell, gestützt durch ein KfW-Darlehen in Höhe von 24 Milliarden Euro. Ziel ist es, Produktions- und Verbrauchsregionen miteinander zu verbinden und so ein stabiles Rückgrat für die Wasserstoffwirtschaft zu schaffen. Doch selbst unter idealen Bedingungen würde dieses Kernnetz nur rund ein Drittel des voraussichtlichen Bedarfs abdecken. Das zeigt, wie ambitioniert und zugleich begrenzt das Projekt ist.
 
Das Testfeld in Bad Lauchstädt: Die Obertageanlagen der Verteilnetze sowie die Armaturen lassen sich für den Wasserstoffbetrieb modifizieren
Foto: Frank Urbansky

Die Bundesregierung will hier mit vereinfachten Verfahren und mehr Digitalisierung gegensteuern, niedergelegt im Gesetzentwurf zum Wasserstoffbeschleunigungsgesetz. Der BDEW etwa begrüßt dies grundsätzlich. Kritisch sieht der Verband hingegen die geplante Reduzierung der Haushaltsmittel im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie um zwei Drittel bis 2032. Für einen erfolgreichen Hochlauf dürfe Wasserstoff nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Auch auf EU-Ebene müsse Deutschland Verantwortung übernehmen und eine Wasserstoffallianz vorantreiben.

Kern- und Verteilnetz gleichermaßen wichtig

Noch kritischer ist jedoch der Zustand der Verteilnetze. Während das Backbone-Netz als Leuchtturmprojekt medial präsent ist, fehlt es regional an konkreten Anschlussperspektiven. Genau diese lokalen Netze entscheiden aber darüber, ob Wasserstoff wirklich in der Fläche ankommt − also dorthin, wo Industrie, Gewerbe und Handwerk ihn tatsächlich nutzen können. Ohne funktionierende Verteilstrukturen bleibt der Wasserstoff in überregionalen Transportleitungen stecken.

Nun grätscht auch noch die Politik dazwischen. Denn: Neue Gaskraftwerke müssen her − daran lässt Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) keinen Zweifel. Doch welches Gas soll in Zukunft durch die Leitungen fließen? Erdgas oder Wasserstoff? Eine klare Position zur langfristigen Ausrichtung fehlt bislang. Brisant wird die Debatte, wenn Reiche die von ihrem Vorgänger geplante „H2-ready“-Pflicht für neue Kraftwerke aufweichen oder gar kippen sollte. Denn damit stünde das Wasserstoff-Kernnetz letztlich auch wieder zur Disposition.

Ohne ein tragfähiges Kernnetz aber wäre auch der Aufbau dezentraler Wasserstoffverteilnetze weitgehend sinnlos. Verteilnetze brauchen Anbindung an überregionale Transportachsen. Sonst fehlen der Druck, die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit. Wer also an der H2-Readiness spart, gefährdet weit mehr als nur ein paar künftige Kraftwerksstandorte. Er stellt die gesamte Wasserstoffstrategie infrage.

Drei Beispiele aus der Praxis

Der Zugang vor Ort ist jedoch Voraussetzung für Investitionen in die Nutzungsinfrastruktur, etwa Brennertechnik, Speicher oder Umrüstungen in der Produktion. In vielen Regionen fehlen die notwendigen Planungen oder es mangelt an Zuständigkeiten und Finanzierung. Dabei sind gerade die Verteilnetze meist schon H2-ready. Das haben Tests ergeben, die seit 2017 in Bitterfeld-Wolfen im sogenannten Wasserstoffdorf unter Aufsicht der „MITGAS Mitteldeutsche Gasversorgung GmbH“ durchgeführt wurden.

Dennoch: Ein Blick auf aktuelle Projekte zeigt, dass dort, wo kommunale oder mittelständische Akteure Eigeninitiative ergreifen, Bewegung in die Sache kommt.
Im Sauerland etwa entsteht mit „HydroNet Sauerland“ eine vollständig regional verankerte Wertschöpfungskette − vom Elektrolyseur über die Pipeline bis zum Endverbraucher. Das Besondere: Das Projekt verzichtet auf EU-Fördermittel, wird von einem breiten Konsortium getragen und richtet sich explizit an den industriellen Mittelstand. Durch die Reaktivierung einer stillgelegten Erdgasleitung und den modularen Aufbau schafft das Projekt Anschlussfähigkeit an das Kernnetz − aber eben auch Versorgungssicherheit und überhaupt erst mal eine H2-Perspektive für regionale Betriebe.

Ähnlich zukunftsweisend ist das Projekt der „ONTRAS Gastransport GmbH“ bei Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt, das erste realisierte Teilstück des ostdeutschen Kernnetzes. Es verbindet unter anderem das Projekt „Green Octopus Mitteldeutschland“ mit dem mitteldeutschen Chemiedreieck − und bildet einen wichtigen Testfall für den Übergang von Insellösungen zu einem systemischen Netz.
Doch solche Pilotprojekte sind bislang Ausnahmen. Ohne gezielte politische Unterstützung für Verteilnetze, etwa durch Förderprogramme, Planungsbeschleunigung und regulatorische Klarheit, droht der Markthochlauf zu scheitern. Wasserstoffinfrastruktur endet eben nicht an Landesgrenzen oder Umspannstationen, sondern muss bis zum Werkstor, zum Gewerbegebiet und zur Tankstelle reichen.

Grüner Wasserstoff ist teuer

Zu diesen Problemen kommt ein generelles: der Preis. Grüner Wasserstoff ist teuer, ineffizient in der Herstellung und in Deutschland auch deswegen bislang nur eingeschränkt verfügbar. Im Rest der Welt sieht es nicht besser aus. Die Produktionskosten liegen bei etwa 5 bis 6 Euro pro Kilogramm − exklusive Transport, Speicherung und Weiterverarbeitung. Regulatorisch wird es ab 2030 noch anspruchsvoller, wenn der eingesetzte Strom stundengenau aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Das reduziert die Flexibilität der Elektrolyseure massiv und verteuert den Betrieb.

Das schlägt sich ganz konkret in den Preisen nieder. Zum Stichtag 30. Juli 2025 lag der Preis für grünen Wasserstoff auf dem von der Energiebörse EEX veröffentlichten Hydrix-Index bei 248 Euro/MWh. Zum Vergleich: Erdgas kostete am selben Tag als Spot an der EEX zwischen 33 und 34 Euro/MWh. Grauer, aus der Dampfreformierung von Erdgas hergestellter Wasserstoff war deutlich günstiger: Die Energiebörse EEX bezifferte seinen Preis im gleichen Zeitraum über den Index Hydex Grey mit 84 Euro/MWh.

Diese enorme Preisdifferenz zu Erdgas und zu grauem Wasserstoff zeigt deutlich, wie weit grüner Wasserstoff aktuell von einer wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit entfernt ist. Ohne spürbare Kostensenkungen und stabile Rahmenbedingungen dürfte ein industrieller Markthochlauf kaum gelingen.

Stopp von Wasserstoffprojekten

Im Frühjahr 2025 stoppte denn auch die EnviaM-Gruppe sämtliche laufenden Wasserstoffprojekte. Die Gründe waren wenig überraschend: mangelnde wirtschaftliche Tragfähigkeit, unsichere regulatorische Rahmenbedingungen und eine weiterhin ausbleibende industrielle Nachfrage.

Besonders problematisch: Angesichts der hohen Investitionskosten und der derzeit nicht konkurrenzfähigen Wasserstoffpreise fehlte die wirtschaftliche Grundlage für einen Weiterbetrieb. Der Rückzug des ostdeutschen Energieversorgers sendet ein deutliches Warnsignal an die Branche. Selbst erfahrene Marktakteure zögern zunehmend auf einen Markthochlauf zu setzen, der bislang vor allem politisch angekündigt, in der Praxis jedoch kaum eingelöst wurde.

Gleichzeitig konkurriert die Wasserstoffproduktion mit anderen Nutzungsformen für grünen Strom, etwa der direkten Elektrifizierung, die häufig effizienter ist. Der hohe Wasserverbrauch − etwa neun Liter Reinstwasser pro Kilogramm Wasserstoff − verschärft die Problematik zusätzlich in einem zunehmend wasserknappen Land.

Dennoch gibt es Anwendungen, bei denen Wasserstoff perspektivisch alternativlos ist: Hochtemperaturprozesse in der Stahl- und Chemieindustrie, sein Einsatz im Schwerlastverkehr, in der Schifffahrt und Luftfahrt, die saisonale Energiespeicherung und die Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Doch diese sogenannten No-Regret-Anwendungen benötigen verlässliche Rahmenbedingungen, stabile Preise und eine abgestimmte Infrastrukturstrategie − vom Importterminal bis zur lokalen Verteilstation. Noch ist davon wenig zu sehen.

Wie könnte es gehen?

Um den Hochlauf realistisch zu gestalten, braucht es ein Umdenken in mehreren Bereichen. Infrastruktur sollte nicht vom Ziel her gedacht, sondern vom Anschluss her geplant werden − mit gezielter Förderung für Verteilnetze, die den Zugang für Mittelstand, Gewerbe und kommunale Verbraucher sicherstellen. Gleichzeitig muss die Regulierung vereinfacht und entbürokratisiert werden. Herkunftsnachweise und Strombezugsregeln gehören auf den Prüfstand.

Auch technologieoffene Ansätze wie Pyrolyse oder CCS-fähige Verfahren (Letztere wurden erst kürzlich von der neuen Bundesregierung per Gesetzesvorhaben „legalisiert“) sollten − bei nachweisbarer Klimawirkung − ihren Platz im Förderrahmen finden. Und schließlich braucht es eine europäisch koordinierte Strategie, in der nationale, regionale und kommunale Infrastrukturen ineinandergreifen − nicht als Wettbewerber, sondern als funktionale Netzstruktur. 
 

Frank Urbansky
© 2025 Energie & Management GmbH
Mittwoch, 17.09.2025, 09:16 Uhr

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