
Bei der Bundesnetzagentur werden sie unter der Bezeichnung „besondere netztechnische Betriebsmittel“ geführt, was als unauffällige
Umschreibung für Notfallkraftwerke gelten darf. Für die Nummer eins in Marburg hatte der baden-württembergische Umweltminister
Franz Untersteller (Grüne) im Oktober ohne große Begeisterung den ersten Spatenstich begleitet. Auch hier handelt es sich
um einen 300-MW-Block, der als Absicherung für den Großraum Stuttgart bereitgehalten wird. Ein zweites soll in Leipheim im
Landkreis Günzburg (Bayern) entstehen, ein drittes am Kraftwerksstandort Irsching in der Region Ingolstadt, wo Uniper bereits
Gasblöcke betreibt. Auch diese beiden können – oder besser gesagt könnten – je 30 MW liefern.
Mit Biblis ist die Liste jetzt komplett. Das vierte Kraftwerk soll aus elf Gasturbinen bestehen und ab Oktober 2022 im Fall
des Falles ebenfalls 300 MW ins Netz einspeisen. Es wird auf einem Parkplatz außerhalb des Geländes des abgeschalteten früheren Kernkraftwerks errichtet,
das derzeit zurückgebaut wird, teilte RWE mit.
Sicherheitspuffer für den Notfall ab 2022
Hintergrund für den Bau der Anlagen, die möglicherweise nie gebraucht werden und auch dem Strommarkt nicht zur Verfügung stehen,
ist die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke im Süden der Republik Ende 2022. Dann verfügen Bayern und Baden-Württemberg
kaum noch über eigene konventionelle Stromproduktion. Und die großen Gleichstromleitungen, die bis dahin eigentlich für Ersatz
durch Windkraftstrom aus dem Norden sorgen sollten, verzögern sich wohl bis 2026. Deswegen wächst in Politik und Wirtschaft
der Südländer die Furcht, dass es durch diese Lücke zu Schwierigkeiten kommen könnte.
Anders als normale Reservekraftwerke, die beispielsweise bei starken Netzbelastungen im Winter und gleichzeitigem Rückgang
von Wind- und Solarstrom einspringen können, sind die besonderen netztechnischen Betriebsmittel ausschließlich als Sicherheitspuffer
für den Notfall gedacht. Sie würden von den Übertragungsnetzbetreibern Amprion, Tennet und Transnet BW angefordert, wenn etwa
eine wichtige Höchstspannungsleitung ausfällt, ein Umspannwerk oder ein großer Transformator. Die Anlagen sind schnellstartfähig
und könnten im Falle eines vollständigen Blackouts auch zum Wiederaufbau des Stromnetzes eingesetzt werden.
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Freitag, 13.11.2020, 16:22 Uhr